141

Unter unseren Blicken und Zärtlichkeiten will sich bald die Vertrautheit vor die Fremdheit mogeln (und sie am liebsten ganz verdrängen). Es fällt uns nicht leicht, aber wir bestehen auf der Fremdheit unseres Babys (die nie eine andere sein kann und werden soll als sie heute ist). Die Vertrautheit kommt uns beweglicher vor, eiliger, schwankender, haltlos. Umso weniger dürfen wir sie dem Einfluss der Fremdheit entziehen. Soll sie groß werden, muss sie klein bleiben. (Ein Blick auf unser Baby verrät: wir kennen uns wirklich gut!)

Soon, amidst our glances and physical endearments, familiarity will occlude the strangeness like a conjurer’s trick (and would, if it could, replace it entirely). It is not easy for us, but we insist on our baby’s being a stranger among us (a strangeness that can never be or become other than what it is today). The familiarity seems nimbler, more rapid, unsteady, labile.  Therefore we must not balk at exposing it to the influence of the strangeness. If we want the familiarity to be great, it must remain small. (A glance at our baby reveals: we really know each other well!)

140

Ein Tag ohne das Baby (aber es kommt mir nicht so vor, als ob das Sein mit dem Baby von seiner Sichtbarkeit abhängt. Von seiner Existenz schon. Sie ist die Voraussetzung unserer Gesellschaft. Doch einmal da, steigert oder verringert sich die Gegenwart des Babys nicht durch seine – und nicht durch meine – Anwesenheit oder Abwesenheit. So kann ich mich auf dem Heimweg getrost eine Weile am Ufer des Flusses niederlassen und die kleinen Wellen zählen, deren ununterbrochenes Fortrollen ein dauerndes Kommen ist: Babywellen).

A day without the baby (but it doesn’t seem to me as if existence with the baby depends on his visibility. On his existence, yes. It is the precondition for our being-together. But once there, the baby’s presence does not increase or decrease with his – nor with my – presence or absence. So I can confidently settle down for a while by the bank of the river on the way home and count the little waves, whose ceaseless rolling is a constant arrival: baby waves).

139

Das Baby dreht sich um, dreht sich das erste Mal um, vom Rücken auf den Bauch. Heftiges Jubeln bricht aus in uns, das sogleich einer frohen Nüchternheit weicht, größer, umfassender noch als das Jubeln (im Gesicht des Babys verändert sich die Überraschung über sein Umdrehen in einen Ausdruck sorgloser Selbstverständlichkeit). Wir denken sehr lange über das Umdrehen nach.

The baby rolls over. Rolls over for the first time, from his back to his belly. We break into loud cheers, an excitement that immediately gives way to a joyful soberness that is larger, more inclusive than the cry of celebration (in the baby’s face, surprise over his rolling over turns into an expression of carefree matter-of-factness). We reflect on this moment of rolling over for a long time.

138

Wir sind wach. Wir sind wach (genauer können wir es nicht sagen). Die Wachheit unseres Babys schließt uns mit ein. Wir verdanken ihm unsere Wachheit (und wir danken ihm dafür, obwohl es unseren Dank ignoriert). Früher hatten wir Angst vor der Wachheit, was wir erst jetzt bemerken, da uns bewusst wird: es gibt keinen Rückweg aus der Wachheit. Mit der Geburt unseres Baby sind wir aufgewacht, fällt uns ein (und dann können wir nicht anders, als in dieser Wachheit, im schönen Schwanken des Zuges auf der Heimreise einzuschlafen).

We are awake. We are awake (we can’t say it more precisely). The baby’s awakeness includes us. We are awake thanks to him (and we thank him for that, though he ignores our thanks). We used to be afraid of being awake, and recognize that only now as we notice there is no way back from being awake. When our baby was born, we woke up, we realize (and then, in this wakefulness, in the lovely swaying motion of the train, we cannot help falling asleep on the way home).

137

In der Fortsetzung des Traums (manchmal können wir gar nicht aufhören zu träumen), ist unser Baby geboren und wir tragen es durch die zerfallene Stadt, um es mit allen anderen Babys bekannt zu machen. Wenn irgendwo ein Baby weint, stimmen bald alle Babys mit ein. Nur unser Baby weint nicht. Die Bewohner der Stadt sagen, sie können uns kein Wasser mehr reichen. Es gibt kein Wasser mehr, rufen sie uns zu, ihr habt all unser Wasser getrunken. Und die Tränen eurer Babys? fragen wir. Sofort sehen uns die Bewohner wütend an und jagen uns aus der Stadt. Da fängt unser Baby an zu weinen, bitterlich und untröstlich. (Das erste Mal in unserem Leben erwachen wir weinend.)

In the continuation of the dream (sometimes we are not able to stop dreaming), our baby is born and we carry him through the disintegrated town to introduce him to all the other babies. As soon as a baby cries somewhere, all the other babies chime in. Our baby is the only one that doesn’t cry. The townspeople tell us they can’t offer us any more water. There is no water left, they call out to us, you drank all our water. What about your babies’ tears? we ask. Immediately the townspeople give us furious looks and chase us out of town. Then the baby starts crying, bitterly and inconsolably. (For the first time in our life we wake up crying).

136

Im Traum (doch, ja, es ist einer) kehrt das Baby während unserer Reise zurück in den Bauch (deinen Bauch). So laufen wir schwanger (als Mann an der Seite einer Schwangeren wird man schneller und stärker schwanger als man glauben mag) durch die südliche Stadt, in der es seit Monaten nicht mehr geregnet hat. Ununterbrochen ist Glockenläuten zu hören, endet es in dem einen Kirchturm, beginnt es im anderen. Es knistert beim Laufen über die Straßen und durch die Parks. Es knistert auch in geschlossenen Räumen, denn die Hitze macht selbst vor ihnen nicht Halt. Die Hitze zerbröselt die Stadt langsam, wir treten auf harte, trockene Brösel und die Trockenheit nimmt weiter zu und Regen will keiner fallen. Doch überall bieten uns die Menschen mit erhitzten und erschöpften Gesichtern ein Glas Wasser an, überall freuen sie sich über unseren schwangeren Anblick, fragen, wann es soweit ist, wollen den Bauch berühren. So trinken wir überall in der Stadt das gereichte Wasser bis die Stadt vollständig zerfallen ist, bis zum Tag der Geburt. (Wir erwachen ohne Durst.)

In a dream (yes, it really is a dream) the baby returns to the womb (your womb) during our trip. And so, pregnant (as a man by the side of a pregnant woman one gets pregnant more quickly and more fully than one might think), we walk through the southern town, where it hasn’t rained in months. We hear an incessant ringing of bells; as soon as the ringing stops in one tower it begins in another. We hear a fine crackling sound as we walk through streets and parks. We hear it indoors too, for the heat spreads into closed rooms as well. Gradually the heat is crumbling the town, we feel hard, dry fragments beneath our feet and the dryness increases and there is no sign of rain. But everywhere we go, people offer us glasses of water, their faces exhausted and flushed by the heat, and everywhere they are happy to see our pregnant condition, wanting to know when the baby is due, asking if they may feel our belly. And so we drink water wherever we go until the town has completely crumbled, until the day of birth. (We awake without thirst.)

135

Im Zug. Wir hätten gute Lust, das Leben unseres Baby als Reise zu betrachten (aber die Zumutungen solcher Metaphern, haben wir uns vorgenommen, müssen wir abwehren. Sie wollen uns in eine Richtung lenken, wir aber wollen in keine Richtung gelenkt werden. Und unser Wollen ist in diesem Fall tatsächlich absichtlich. Was versprechen wir uns davon? Eine gute störungsfreie Reise. Irgendwohin, nirgendwohin).

In the train. It’s tempting to regard our baby’s life as a voyage (but such metaphors entail suppositions which we have decided to reject. They tend to steer us in a direction, but we intend to be steered in no direction. And our intention is in this case truly intentional. What do we hope to gain from this? A good trip without hindrances. Somewhere, nowhere).

134

Nicht aufhören, nicht nachlassen: das Baby kennt keine Seinsmüdigkeit (die jeden von uns einmal, mehrmals im Leben ergreift. Ein Griff, der sich abschütteln, aber nicht wieder vergessen lässt). Hierin ist das Baby unser properes Vorbild. Wie es seine Unbeweglichkeit, sein Nicht-vom-Fleck-kommen in die Tugend der Duldsamkeit verwandelt. Natürlich, denken wir verdutzt, es macht uns einfach nur nach. Imitiert unsere eigene Unbeweglichkeit, unser eigenes Nicht-vom-Fleck-kommen, um uns unsere Untugend der Unduldsamkeit zu beleuchten (lag unser Baby wirklich vorhin dort drüben, unweit der Stehlampe, die linke Hand auf dem Fußschalter?).

Never stopping, undeterred: the baby knows no existential exhaustion (which takes hold of us all several times in the course of life. A grip that can be shaken off but is never forgotten). In this, the baby is our true role model. How he transforms his immobility, his not getting anywhere, into the virtue of patience. Baffled, we think: Of course, he’s just imitating us. Imitating our own immobility, our own stuckness, to cast a light on our vice of impatience (was our baby really lying over there, near the floor lamp, just a moment ago, his left hand near the foot switch?).

133

Nur Vergnügen. (Das Baby genügt uns. Und sonst braucht ihr nichts, nur euer Baby? Nein, wir sind nicht bescheiden. Eher maßlos in unserer Genügsamkeit. Unsere Bescheidenheit besteht nur darin, nichts anderes zu wollen. Und darin, dass wir unser Baby nicht brauchen. Es nützt uns zu nichts. Das ist doch das Wesen des Vergnügens: Nutzlosigkeit. Ziellosigkeit. Sinnlosigkeit. Und tatsächlich: es ist ein großer Spaß!)

Only pleasure. (The baby is enough for us. And you don’t need anything else, just your baby? No, we’re not humble. It’s more that we’re excessive in our moderation. Our humbleness consists in not wanting anything else. And not needing our baby. It has no utility for us. And yet our baby is the essence of enjoyment. Useless. Aimless. Meaningless. And truly: a great deal of fun!) 

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Das Baby schleicht sich davon, schleicht sich aus dem Baby heraus. Einen winzigen Moment lang nur. (Es ist diese Befürchtung, die so oft aus den Worten der fortgeschrittenen und zurückblickenden Eltern herausklingt: diese Zeit mit dem Baby, wie schnell geht sie vorüber! Tatsächlich ist es schwierig, das Baby festzuhalten. Es ist unmöglich. Ja: es schleicht sich davon. Nur so kann es bleiben.)

The baby steals away, steals its way out of the baby. Just for a tiny moment. (It is this anxiety that shows up so often in the words of advanced and retrospective parents: this time with the baby, how quickly it passes! It is indeed hard to hold on to the baby. It is impossible. Yes, the baby steals away. It is the only way it can stay.)