Die Frühmorgenstimme weckt uns. Glasklar, ungedämpft, neu geboren. Eine Stimme, die losspricht und nicht erst abwartet, ob die Zuhörer (du, ich) schon bereit sind. Allein deshalb ist die Stimme unseres Babys (und auch darum ist es kein Baby mehr, kann es keines mehr sein, weil es spricht, weil es eine Stimme hat, die so ganz anders klingt als das Murmeln, Brabbeln, Brodeln, als die kleine Sinfonie variantenreicher Laute, als unsere größte Fremdsprache, die wir niemals wieder erlernen können und die wir genauso gut verstehen wie mißverstehen, als diese Stimme des Anfangs, die uns möglicherweise die größten Weisheiten überliefert hat, ohne dass wir es gemerkt haben, ohne dass uns unser Unverstand, wäre es anders gewesen, bekümmert hätte) eine ganz andere Stimme als alle uns bekannten Stimmen, die immer den Zuhörer in Gedanken bei sich tragen, denen die Rücksicht auf den Zuhörer eingebrannt ist, die nichts sagen können, ohne es zu jemandem zu sagen. Die Stimme unseres Baby (nennen wir es ruhig wieder Baby, denn ein bißchen zumindest rechtfertig seine Art des Sprechens, sein kleinkindliches Reden diese Benennung schon, denn dieses Reden fühlt sich für uns dann doch wieder so freundlich, feierlich, vertraut an wie das einstige Murmeln, Brabbeln, Brodeln) will gleichwohl gehört werden, aber größer noch ist seine Lust daran, sich selbst zu hören, wir sind Echo dieser Lust, unsere Ohren sind nur die Vergrößerung seiner Ohren, im frühmorgendlichen Sprechen (das den Tag einläutet wie keine Kirchenglocke den Tag einläuten könnte) feiert es sich selbst, mit allem nötigen Ernst und aller heroischen Unbeirrbarkeit, die der Held der Sprache, zu dem es sich gerade aufschwingt (knieend und in wunderschöner Aufgerichtetheit des Oberkörpers und mit weich aufsitzendem Kopf) seinen Eltern offenbart wie einen Mythos, einen jungen, quicklebendigen Mythos, der sich leicht erzählt und auch ein bißchen singen lässt, einen Mythos, der uns daran erinnert, dass die Sprache einmal begann und dass dieses Beginnen auch jetzt, gerade neben uns stattfinden kann. Sechs Uhr früh. Die Nacht ist vorbei, aber der junge Tag ist noch dunkel. Wir (du, ich) brauchen Zeit, um das eine gegen das andere zu tauschen, die Nacht (in uns) gegen den Tag (in uns), das Schlafen gegen das Wachen, das Schweigen gegen das Reden. Unser Baby braucht keine Zeit. Wenn es morgens aufwacht (ganz anders als beim Mittagsschlaf), wacht es sofort auf, übergangslos, nahtlos: so eng miteinander verstrickt sind seine Nacht und sein Tag. Plötzlich ist es da, plötzlich zerreißt seine Stimme die elterlich einträchtige Ruhe, rätselhaft schöner Klang erhellt die Nacht (noch bevor wir die Vorhänge aufgezogen haben, noch bevor der erste Tagesschimmer ins Schlafzimmer dringt). Rätselhaft! Kennen wir doch hunderte Stimmen Erwachsener (von Verwandten, Bekannten, Freunden, Kollegen, Berühmtheiten, Stimmen von Zufallsbegegnungen, Radiostimmen, Filmstimmen, geträumte Stimmen), und können wir doch all diese Stimmen mit der betreffenden Person und ihrem Reden gut in Einklang bringen, als würde jeder Mensch eine ganz besondere Stimme sein eigen nennen, als gehörte sie zu ihm, wie sein Kopf oder seine Hand. Die charakteristische Stimme, die aus dieser einen besonderen Person spricht. Anders verhält es sich bei unserem Baby. Oh ja, wir glauben schon, dass das unser Kind ist, das da morgens spricht, unser Kind mit seiner Stimme, aber dann beschleichen uns Zweifel (die nichts mit der Morgendämmerung zu tun haben, denn wir hören morgens besonders gut), nein, doch nicht Zweifel, merken wir sofort, eher fühlen wir uns wundersam erweckt zur Erkenntnis, dass die Stimme unseres Kindes zwar seine Stimme ist, aber eben nicht nur seine Stimme, dass mit seiner Stimme noch jemand anderes spricht (jemand, der nicht jemand ist), dass die Stimme, mit der es spricht, noch nicht an seine Person gefesselt ist, noch die Freiheit besitzt, woanders hin zu schweben (wieder ein Grund, unseren Sohn als unser Baby zu bezeichnen, war doch das Schwebende seiner Existenz sein eindringlichstes Merkmal, das Schwebende, das mit dem Baby, das es nicht mehr ist, offenbar noch nicht davongeschwebt ist): ja, scheuen wir uns nicht in dieser ersten Morgenstunde zu denken (in dieser ersten Morgenstunde, in der wir noch viel zu müde sind, irgendeinen unserer Gedanken zu beurteilen) : im Sprechen unseres Kindes, spricht die Stimme des Lebens selbst! Heiliger Glockenklang! Woher nur kommt diese Stimme! Aus unserem Baby, aus unserem ganzen Kind, ja, woher also! (Als die drei Knaben in Mozarts Zauberflöte auftreten, drei Knaben mit hohen Stimmen, unangekündigt, als wären sie vom Himmel gefallen, und nun Tamino auf seiner Mission, Pamina zu retten, wie selbstverständlich weisen Ratschlag erteilen: Sei standhaft, duldsam und verschwiegen und benimm dich wie ein Mann!, verinnerlicht Tamino augenblicklich, was er gehört hat. Ist Grund dafür nicht viel mehr die Plötzlichkeit des Auftretens der drei, als das, was sie gesprochen haben? Nicht die Helligkeit ihrer Stimmen, als ihre bescheidene und einfache Weisheit? Wacht Tamino nun auf und folgt seinem unbekannten Weg, der ihn ans Ziel führen wird? – Wovon sprach unser Kind heute morgen und weckte so den Tag für uns? Von Emma, vom Schlitten, dem Frosch, und vom ich will jetzt aufstehen, mit dir Mama, oh, ja ihr beiden, ihr könntet nun aufstehen, dachte ich, und ich lasse mich dann noch einmal, später, nach ein bißchen schlafen noch, wecken, wenn ihr mir herrlich den Tag und den Tee zubereitet habt. Und im Schlummer denke ich dann: hat mich deine Stimme, Kind, in welchen goldnen Traum hinein geweckt?).
The early morning voice awakens us. Clear as glass, unmuted, newly born. A voice that starts talking without waiting to see if the listeners (you, I) are ready. For this reason alone our baby’s voice (and it is a reason, too, why he is no longer and can no longer be a baby, because he is speaking, because he has a voice that sounds so different from the murmuring, babbling, bubbling, than that little symphony with its wide variety of sounds, than the greatest foreign language which we will never be able to learn again and which we understand and misunderstand in equal measure, than this voice of the beginning, which possibly conveyed to us messages of the greatest wisdom without our noticing, and even if we did notice, we didn’t pay attention) is a completely different voice than all the voices we know, which always have the listener in mind, and have consideration of the listener branded into them, which cannot say anything without saying it to someone. Our baby’s voice (we might as well call him a baby again, for his way of talking, his toddler’s speech, does justify this designation, for this speech does after all feel as friendly to us, as solemn, as familiar as that erstwhile murmuring, babbling, bubbling) does nonetheless ask to be heard, but even greater is his delight in hearing himself, we are an echo of this delight, our ears are merely an amplification of his ears, in this early morning speech (which rings in the day in a way that no church bell could ring in the day) he is celebrating himself, with all the necessary earnestness and all the heroic certainty of the hero of language (kneeling and in stunningly beautiful uprightness of the upper body, atop of which the head rests, softly mounted) presenting its intent and message to his parents llke a myth, a young and spring-fresh myth that is easily told and can even be chanted a little, a myth that reminds us that language had a long-ago beginning and that this beginning can take place right now, right next to us. Six o’clock in the morning. The night is over, but the yung day is still dark. We (you, I) need time to exchange the one for the other, exchange the night (in ourselves) for the day (in ourselves), sleeping for waking, silence for speech. Our baby needs no time. When he wakes up in the morning (quite unlike his midday sleep), he wakes up instantly, without transition, seamlessly: that is how closely his night and his day are knit together. Suddenly he is there, suddenly his voice tears into his parents’ peaceful rest, mysteriously beautiful sound brightens the night (even before we have drawn the curtains, even before the first glimmering of day penetrates into the bedroom). Mysterious! For we know hundreds of adult voices (of relatives, acquaintances, friends, colleagues, celebrities, voices of people met in chance encounters, radio voices, movie voices, dreamed voices), and know how to coordinate all these voices with the corresponding person and his or her speech, as if every human being had a very particular voice of his or her own, a voice that is uniquely theirs, as their head or hand is uniquely theirs. The characteristic voice that speaks from this one particular person. It is different with our baby. Oh yes, we do believe it is our baby who is talking in the early morning, our child with his voice, but then doubts creep in (which have nothing to with dawn, for our hearing is especially acute in the morning), no, not really doubts, we notice this right way, it is more that we feel ourselves wondrously awakened to the realization that our child’s voice, while it is his voice, is not only his voice, that with his voice someone else is speaking (someone who is not someone), that the voice with which he speaks is not yet bound to his person, still has the freedom to hover somewhere else (another reason for calling our son our baby, for this weightless hovering of his existence was his most marked characteristic, this weightless quality which evidently has not yet floated away with the baby he no longer is): yes, let us not shy away, at this early morning hour, from thinking (at this first morning hour, when we are still much too tired to evaluate any one of our thoughts): in our child’s speech, it is the voice of life itself that is speaking! Sacred, ringing, bell-like sound! Where on earth does this voice come from! From our baby, from our whole baby, from where, then! (When the three boys in Mozart’s Magic Flute appear, three boys with high voices, unannounced, as if they had fallen from the sky, and now, in the most perfectly matter-of-course manner, convey wise counsel to Tamino on his mission to save Tamina: Be patient, steadfast, and discreet and act like a man!, Tamino instantly internalizes what he has heard. Is the reason for this not the suddenness of the three boys’ arrival, rather than what they have said? Not the brightness of their voices but their modest and simple wisdom? Does Tamino now awaken and follow his unknown path that will lead him to his goal? – What was our child talking about this morning, thus awakening the day for us? About Emma, about the sled, the frog, about I want to get up now, with you, Mama, oh yes, you two, you can get up now, I thought, and a little later I let myself be woken up again, after a little more sleep, after you two have gloriously prepared the day and a cup of tea for me. And drifting in half-sleep then, I think: was it your voice that woke me, child, into what golden dream?).