Das zweite & dritte Jahr 47

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47

Kein Trotz, nirgends. (Etwas wird die Trotzphase genannt. Alle nennen es Trotzphase, vereint im Begriff lässt sich die eigene Erfahrung, die die Erfahrung ist, die alle Eltern machen, leichter verkraften. In den Ratgebern heißt es, die Eltern fiebern dem Ende der Trotzphase entgegen. Die Rede ist vom kleinen Wutmonster, dem Kind, dem die Sicherung durchgebrannt ist, vom Kind, das die Eltern an den Rand der Verzweiflung bringt. Das Kind will. Das Kind will bestimmen, herrschen, mächtig sein. Das ist notwendig, heißt es, es ist wichtig für die Entwicklung des Kindes, für die Ausbildung seines Ich, fürs spätere Leben. Dieser Trotz richtet sich nur scheinbar gegen die Eltern, lesen wir, wir, du, ich, sind es nunmal, die dem Kind gegenüberstehen, nur an uns, die wir es innig lieben, kann es seinen Trotz ausleben, den wir Klugen, wissen ihn zu nehmen als das, was er ist: ein notwendiger Lernschritt im Leben des kleinen Menschen. Freundlichere Stimmen, klügere Stimmen nennen die Trotzphase die Autonomiephase. Das klingt reifer, erwachsener, auch distanzierter, weiser. Die Autonomie muss unser Kind erst lernen. Auf sich bestehen, sein Wollen kundtun, seinen Willen lautstark zum Hören bringen. Autonomie, das ist auch, dem eigenen Innern gehorchen, mehr als allem Äußeren, Elterlichen, Vorgegebenen. – Alles wahr, alles gut? Aber genau betrachtet, das heißt, wenn wir uns im Zusammensein mit unserem Kind nicht verlieren, wenn wir nicht der höheren, gelernten Vernuft zuhören, der pädagogischen Vernunft – manchmal denken wir, alle Vernunft ist  pädagogisch, nur pädagogisch, was sonst will sie, als uns ständig aufklären -, wenn wir also in nicht nur guten, sondern sehr guten Momenten vergessen können, dass wir die Erwachsenen sind und unser Kind Kind ist, dann – und darin besteht die Genauigkeit unserer Betrachtung -, dann enttarnt sich der Trotz als eine im Grunde mäßig raffinierte Verklärung eines banalen Mißverständnisses. Es gibt keine Trotzphase im Leben eines Menschen. Wird der Trotz zur Phase scheint uns etwas in Unordnung geraten zu sein. Gerät unser Kind in eine Wut, widersteht es jedem Wort, jeder Ansprache, jedem Schmeicheln, jeder Verführung, muss seine Wut eine heilige sein. Heilig wie die Wut der delphischen Priesterin, die erst dann wahrsagen will, wenn genügend Geschenke, Belohnungen, selbstlose Opfer diese Wut erst so richtig zum brennen gebracht haben. Unser Geschenk, unsere Belohnung, unser Opfer an unser Kind ist nicht unser Wille, der seinem nachgeben oder sich fügen müsste, nein, es ist nur eine simple wie folgenschwere Einsicht, die den Willen unseres Kindes nicht zur Phase niederredet, sondern ihn im gleichen Maße anerkennt wie unseren eigenen. Das ist unser wahres Geschenk, unsere wahre Belohnung, unser wahres Opfer. Unsere falschen Geschenke, falschen Belohnungen, falschen Opfer – wenn wir uns anpassen, tricksen, einschmeicheln, laut werden – bringen erst die Wut zum Ausbruch. Vielleicht haben wir das nötig, haben wir die Wut nötig, weil es uns, trotz unserer vorbildlichen Vernunft so unendlich schwer fällt, unser Kind als gleichberechtigtes Wesen zu betrachten, das nichts weniger braucht, als unser Besserwissen, unser Eingreifen, unsere Autorität. So kann der Trotz verschwinden, wenn wir unser falsches Handeln, das nur aus einem Wort bestehen kann, sehen und hören können. Wenn uns die Wut unseres Kindes zu dieser Einsicht hat kommen lassen. Dann lassen wir uns nicht achselzuckend benebeln von einer Trotzphase zu sprechen, durch die wir durch müssen, die unser Kind durchleben muss, um eine und einer zu werden wie wir. Hierin unserem Baby, unserem Kind, unserem Meister zu folgen, ist schwer. Zu leicht führt uns die Wut eines anderen Menschen in die Irre. Lässt sich schon die eigene Wut schwer ertragen, so erst recht die der anderen. Leihen wir der Wut still und andächtig unser Ohr, so als würden wir das Unglaublichste vernehmen, kann sie verrauchen; und der Trotz fährt seine Mauern ein, entlädt seine Waffen.) Kleiner Trotz, überall. Voran eilt unser Kind mit dem Laufrad, bis laut an der nächsten Kreuzung unser Ruf erschallt: Stopp! Wir beugen uns nieder, um mit wenig Worten von der Gefahr zu sprechen und die Regel zu verkünden, dass wir nur gemeinsam hinübergehen auf die andere Straßenseite. Unser Kind hockt auf seinem Laufrad und scharrt mit den Füßen. Schon wie ein großer ungeduldiger Verkehrsteilnehmer bringt es sein Rad einen Zentimeter nach vorne und noch einen Zentimeter und noch einen. Listig trotzt es unserem Blick, doch wir schweigen.Wie charmant uns unser Kind doch zu widerstehen versteht und wie charmant es sich fügt. Es spielt gern mit uns. Nun stört nicht mehr unser sicheres Vorankommen.

 

 

Das zweite & dritte Jahr 46

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46

Auch die anderen Väter und Söhne bemerken wir, wie sie uns bemerken. Manchmal streifen sie uns nur, manchmal treffen sie uns mitten ins Herz. Natürlich handeln wir unser Leben, unsere Vaterschaft nicht allein ab, auch, wenn es manchmal den Anschein hat. Wir sind nicht alle anderen und alle anderen sind nicht wir – und doch sind wir sie, wie sie wir sind. Wir leben die selbe Relation und so wie alle anderen, die diese Relation leben, unser Verhältnis kommentieren, sind wir Kommentar zu deren. Vater und Sohn: eine fundamentale Beziehung, die anders als die Mutter-Sohn-Beziehung offenbar nicht zur Anbetung taugt. Nichts Vergleichbares gibt es zum Sitzen des Sohnes auf Mutters Schoß, etwas das gleichermaßen in profanen wie heiligen Räumen deutlich sichtbar ist, sich unendlich oft wiederholt, ein tägliches Ereignis (wirklich immer wieder ein Ereignis!), ein schöner Anblick, stimmig, zweistimmig, vielstimmig, ein real gewordenes Ideal, das gar nicht geworden ist, sondern immer schon war, immer schon ist, immer sein wird. Nichts Vergleichbares gibt es mit Vater und Sohn. Das Schoßsitzen lässt sich mit beiden schon sehen, aber es ist schüchtern, es mangelt am Zutrauen zu seiner Dauer, die Furcht ist nah, der aus diesem Sitzen wachsende Kraft nicht gewachsen sein zu können, überhaupt ist für solche Dinge die Zeit knapp und gerne werden die Söhne zu ihrer Mutter weitergereicht, hinüber zu ihrem Schoß, auf die andere Seite. So deutlich in den Kirchen (oh ja wir lieben die Kirchen, die uns soviel über unser Sein verraten, sind sie doch die einzigen Orte, die wir kennen, an denen wir nichts zu tun haben) Mutter und Sohn zentral hinter dem Altar und ebenso unübersehbar in vielen Seitenaltären, Nischen, an Pfeilern oder hinter den sich wie Treppen aufbauenden Kerzenhaltern, denen wir gegen einen kleinen Betrag (den unser Sohn in den in kindgerechter Höhe angebrachten Schlitz des blechernen Sammelkastens poltern lassen kann) eine hinzufügen dürfen, – so sehr also Mutter und Sohn mit ihrem Bild präsent sind, unveränderbar präsent, so undeutlich, so unsichtbar, so aufgelöst in nichts Konkretes ist der Vater, der große Vater von dem es heißt: Du sollst dir kein Gottesbild machen! Kein Gottesbild, kein Vaterbild. Der ganze Kirchenraum ist Gotteshaus, aber von dem, der es bewohnt, gibt es nichts zu sehen. Die Unsichtbarkeit der Väter, sie dauert an. Sich unsichtbar zu machen, steigert durchaus die Attraktivität, macht größer als man(n) ist, lässt den Sohn träumen, phantasieren, auch hoffen. Warum verbirgst du dich, Vater? Diese Frage lauert in jeder Kirche, keine teuflische Frage, sondern eine, die der Realität geschuldet ist. Du blickst auf das Leiden, deinen übel zugerichteten Sohn, dem du die Hilfe verweigert hast, und schweigst. Wer unsichtbar ist, redet auch nicht. Die Söhne reden, reden sich die Unsichtbarkeit zurecht, verirren sich tief in der Unsichtbarkeit, überhöhen, den, der sich nicht zeigt, rechtfertigen seine Unsichtbarkeit, denn er ist zu groß für unser Auge, rechtfertigen sein Schweigen, den er spricht zu laut für unser Ohr, und auf seinem Schoß würden wir uns doch nur verlieren. Wieviele Väter zählt die Welt und wieviele Söhne? Wieviele der Väter sind Väter, wieviele Väter sind Söhne? Wieviele Väter sind zurückgekehrt aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit? Oft sind die Söhne wütend. Plötzlich platzt ihre Wut heraus aus ihnen, Hass lässt ihre Wangen beben, sie rufen, schreien, brüllen: ich bin dagegen! Oder: ich bin dafür! (Auf dem Spaziergang durch die winterliche Stadt, hinüber zum Schlittenberg. Ich ziehe den Schlitten mit meinem Sohn über die eifrig überkiesten Gehwege, suche kiesfreie Schneestellen, manchmal müssen wir über die holprigen Randhaufen, dicht an den parkenden Autos entlangschleichen. Auf der Rückseite eines Verkehrsschildes, das die Parklizensierung regelt, klebt ein schwarzer Aufkleber, auf dem behauptet wird, ein ganzes Dorf hasse eine bestimmte Partei. Wenig weiter auf einer Schulmauer steht in schwarzer Schrift Vandalismus  & Randale gegen die Stadt der Bullen. Es ist kalt, doch sonnig, die ersten Amseln rufen. Alle Zeitungen am Kiosk titeln die amerikanische Inauguration, wir bleiben stehen und betrachten ein Foto mit dem zehnjährigen Barron, jetzt ein Präsidentensohn. Wieder sehen wir seinen melancholischen Blick, der noch zweifelt, ob er dafür oder dagegen sein soll. Eindeutig ist er ein Sohn. Sein Vater ist Präsident, vielleicht ein Vater, der Sohn ist. Der immer wieder versucht, Vater zu sein, und doch immer Sohn ist. Alle Väter sind alle Väter, wie alle Söhne alle Söhne sind. Manchmal nur ganz kurz. Für ein paar Meter finden wir keinen Schnee, unser Schlitten krächzt über den Kies und die Pflastersteine. Später, als wir den Rodelhang hinunter schießen auf dem kalten, griffigen Schnee, der unter unseren Kufen wie Styropor quietscht, jubeln wir gemeinsam über das Tempo, in dem es mit uns bergab geht. Beim Wiederhinaufsteigen denke ich, eigentlich sind es doch nur die Söhne, die in den Krieg ziehen, die sich in die Luft sprengen, die hassen, und wenn es Väter sind, sind sie in Wahrheit keine Väter. Es wird steiler und mein Sohn will meine Hand. So gehen wir Hand in Hand den weißen Hang hinauf und bevor wir uns ein weiteres Mal den Berg hinunterstürzen, setzen wir uns an der Kante oben auf unseren Schlitten, halten kurz inne und blicken über das ganze freudige Treiben, in dem wir uns befinden. Dann sind wir still und sausen los.)

 

 

 

Das zweite & dritte Jahr 45

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45

Die Frühmorgenstimme weckt uns. Glasklar, ungedämpft, neu geboren. Eine Stimme, die losspricht und nicht erst abwartet, ob die Zuhörer (du, ich) schon bereit sind. Allein deshalb ist die Stimme unseres Babys (und auch darum ist es kein Baby mehr, kann es keines mehr sein, weil es spricht, weil es eine Stimme hat, die so ganz anders klingt als das Murmeln, Brabbeln, Brodeln, als die kleine Sinfonie variantenreicher Laute, als unsere größte Fremdsprache, die wir niemals wieder erlernen können und die wir genauso gut verstehen wie mißverstehen, als diese Stimme des Anfangs, die uns möglicherweise die größten Weisheiten überliefert hat, ohne dass wir es gemerkt haben, ohne dass uns unser Unverstand, wäre es anders gewesen, bekümmert hätte) eine ganz andere Stimme als alle uns bekannten Stimmen, die immer den Zuhörer in Gedanken bei sich tragen, denen die Rücksicht auf den Zuhörer eingebrannt ist, die nichts sagen können, ohne es zu jemandem zu sagen. Die Stimme unseres Baby (nennen wir es ruhig wieder Baby, denn ein bißchen zumindest rechtfertig seine Art des Sprechens, sein kleinkindliches Reden diese Benennung schon, denn dieses Reden fühlt sich für uns dann doch wieder so freundlich, feierlich, vertraut an wie das einstige Murmeln, Brabbeln, Brodeln) will gleichwohl gehört werden, aber größer noch ist seine Lust daran, sich selbst zu hören, wir sind Echo dieser Lust, unsere Ohren sind nur die Vergrößerung seiner Ohren, im frühmorgendlichen Sprechen (das den Tag einläutet wie keine Kirchenglocke den Tag einläuten könnte) feiert es sich selbst, mit allem nötigen Ernst und aller heroischen Unbeirrbarkeit, die der Held der Sprache, zu dem es sich gerade aufschwingt (knieend und in wunderschöner Aufgerichtetheit des Oberkörpers und mit weich aufsitzendem Kopf) seinen Eltern offenbart wie einen Mythos, einen jungen, quicklebendigen Mythos, der sich leicht erzählt und auch ein bißchen singen lässt, einen Mythos, der uns daran erinnert, dass die Sprache einmal begann und dass dieses Beginnen auch jetzt, gerade neben uns stattfinden kann. Sechs Uhr früh. Die Nacht ist vorbei, aber der junge Tag ist noch dunkel. Wir (du, ich) brauchen Zeit, um das eine gegen das andere zu tauschen, die Nacht (in uns) gegen den Tag (in uns), das Schlafen gegen das Wachen, das Schweigen gegen das Reden. Unser Baby braucht keine Zeit. Wenn es morgens aufwacht (ganz anders als beim Mittagsschlaf), wacht es sofort auf, übergangslos, nahtlos: so eng miteinander verstrickt sind seine Nacht und sein Tag. Plötzlich ist es da, plötzlich zerreißt seine Stimme die elterlich einträchtige Ruhe, rätselhaft schöner Klang erhellt die Nacht (noch bevor wir die Vorhänge aufgezogen haben, noch bevor der erste Tagesschimmer ins Schlafzimmer dringt). Rätselhaft! Kennen wir doch hunderte Stimmen Erwachsener (von Verwandten, Bekannten, Freunden, Kollegen, Berühmtheiten, Stimmen von Zufallsbegegnungen, Radiostimmen, Filmstimmen, geträumte Stimmen), und können wir doch all diese Stimmen mit der betreffenden Person und ihrem Reden gut in Einklang bringen, als würde jeder Mensch eine ganz besondere Stimme sein eigen nennen, als gehörte sie zu ihm, wie sein Kopf oder seine Hand. Die charakteristische Stimme, die aus dieser einen besonderen Person spricht. Anders verhält es sich bei unserem Baby. Oh ja, wir glauben schon, dass das unser Kind ist, das da morgens spricht, unser Kind mit seiner Stimme, aber dann beschleichen uns Zweifel (die nichts mit der Morgendämmerung zu tun haben, denn wir hören morgens besonders gut), nein, doch nicht Zweifel, merken wir sofort, eher fühlen wir uns wundersam erweckt zur Erkenntnis, dass die Stimme unseres Kindes zwar seine Stimme ist, aber eben nicht nur seine Stimme, dass mit seiner Stimme noch jemand anderes spricht (jemand, der nicht jemand ist), dass die Stimme, mit der es spricht, noch nicht an seine Person gefesselt ist, noch die Freiheit besitzt, woanders hin zu schweben (wieder ein Grund, unseren Sohn als unser Baby zu bezeichnen, war doch das Schwebende seiner Existenz sein eindringlichstes Merkmal, das Schwebende, das mit dem Baby, das es nicht mehr ist, offenbar noch nicht davongeschwebt ist): ja, scheuen wir uns nicht in dieser ersten Morgenstunde zu denken (in dieser ersten Morgenstunde, in der wir noch viel zu müde sind, irgendeinen unserer Gedanken zu beurteilen) : im Sprechen unseres Kindes, spricht die Stimme des Lebens selbst! Heiliger Glockenklang! Woher nur kommt diese Stimme! Aus unserem Baby, aus unserem ganzen Kind, ja, woher also! (Als die drei Knaben in Mozarts Zauberflöte auftreten, drei Knaben mit hohen Stimmen, unangekündigt, als wären sie vom Himmel gefallen, und nun Tamino auf seiner Mission, Pamina zu retten, wie selbstverständlich weisen Ratschlag erteilen: Sei standhaft, duldsam und verschwiegen und benimm dich wie ein Mann!, verinnerlicht Tamino augenblicklich, was er gehört hat. Ist Grund dafür nicht viel mehr die Plötzlichkeit des Auftretens der drei, als das, was sie gesprochen haben? Nicht die Helligkeit ihrer Stimmen, als ihre bescheidene und einfache Weisheit? Wacht Tamino nun auf und folgt seinem unbekannten Weg, der ihn ans Ziel führen wird? – Wovon sprach unser Kind heute morgen und weckte so den Tag für uns? Von Emma, vom Schlitten, dem Frosch, und vom ich will jetzt aufstehen, mit dir Mama, oh, ja ihr beiden, ihr könntet nun aufstehen, dachte ich, und ich lasse mich dann noch einmal, später, nach ein bißchen schlafen noch, wecken, wenn ihr mir herrlich den Tag und den Tee zubereitet habt. Und im Schlummer denke ich dann: hat mich deine Stimme, Kind, in welchen goldnen Traum hinein geweckt?).

The early morning voice awakens us. Clear as glass, unmuted, newly born. A voice that starts talking without waiting to see if the listeners (you, I) are ready. For this reason alone our baby’s voice (and it is a reason, too, why he is no longer and can no longer be a baby, because he is speaking, because he has a voice that sounds so different from the murmuring, babbling, bubbling, than that little symphony with its wide variety of sounds, than the greatest foreign language which we will never be able to learn again and which we understand and misunderstand in equal measure, than this voice of the beginning, which possibly conveyed to us messages of the greatest wisdom without our noticing, and even if we did notice, we didn’t pay attention) is a completely different voice than all the voices we know, which always have the listener in mind, and have consideration of the listener branded into them, which cannot say anything without saying it to someone. Our baby’s voice (we might as well call him a baby again, for his way of talking, his toddler’s speech, does justify this designation, for this speech does after all feel as friendly to us, as solemn, as familiar as that erstwhile murmuring, babbling, bubbling) does nonetheless ask to be heard, but even greater is his delight in hearing himself, we are an echo of this delight, our ears are merely an amplification of his ears, in this early morning speech (which rings in the day in a way that no church bell could ring in the day) he is celebrating himself, with all the necessary earnestness and all the heroic certainty of the hero of language (kneeling and in stunningly beautiful uprightness of the upper body, atop of which the head rests, softly mounted) presenting its intent and message to his parents llke a myth, a young and spring-fresh myth that is easily told and can even be chanted a little, a myth that reminds us that language had a long-ago beginning and that this beginning can take place right now, right next to us. Six o’clock in the morning. The night is over, but the yung day is still dark. We (you, I) need time to exchange the one for the other, exchange the night (in ourselves) for the day (in ourselves), sleeping for waking, silence for speech. Our baby needs no time. When he wakes up in the morning (quite unlike his midday sleep), he wakes up instantly, without transition, seamlessly: that is how closely his night and his day are knit together. Suddenly he is there, suddenly his voice tears into his parents’ peaceful rest, mysteriously beautiful sound brightens the night (even before we have drawn the curtains, even before the first glimmering of day penetrates into the bedroom). Mysterious! For we know hundreds of adult voices (of relatives, acquaintances, friends, colleagues, celebrities, voices of people met in chance encounters, radio voices, movie voices, dreamed voices), and know how to coordinate all these voices with the corresponding person and his or her speech, as if every human being had a very particular voice of his or her own, a voice that is uniquely theirs, as their head or hand is uniquely theirs. The characteristic voice that speaks from this one particular person. It is different with our baby. Oh yes, we do believe it is our baby who is talking in the early morning, our child with his voice, but then doubts creep in (which have nothing to with dawn, for our hearing is especially acute in the morning), no, not really doubts, we notice this right way, it is more that we feel ourselves wondrously awakened to the realization that our child’s voice, while it is his voice, is not only his voice, that with his voice someone else is speaking (someone who is not someone), that the voice with which he speaks is not yet bound to his person, still has the freedom to hover somewhere else (another reason for calling our son our baby, for this weightless hovering of his existence was his most marked characteristic, this weightless quality which evidently has not yet floated away with the baby he no longer is): yes, let us not shy away, at this early morning hour, from thinking (at this first morning hour, when we are still much too tired to evaluate any one of our thoughts): in our child’s speech, it is the voice of life itself that is speaking! Sacred, ringing, bell-like sound! Where on earth does this voice come from! From our baby, from our whole baby, from where, then! (When the three boys in Mozart’s Magic Flute appear, three boys with high voices, unannounced, as if they had fallen from the sky, and now, in the most perfectly matter-of-course manner, convey wise counsel to Tamino on his mission to save Tamina: Be patient, steadfast, and discreet and act like a man!, Tamino instantly internalizes what he has heard. Is the reason for this not the suddenness of the three boys’ arrival, rather than what they have said? Not the brightness of their voices but their modest and simple wisdom? Does Tamino now awaken and follow his unknown path that will lead him to his goal? – What was our child talking about this morning, thus awakening the day for us? About Emma, about the sled, the frog, about I want to get up now, with you, Mama, oh yes, you two, you can get up now, I thought, and a little later I let myself be woken up again, after a little more sleep, after you two have gloriously prepared the day and a cup of tea for me. And drifting in half-sleep then, I think: was it your voice that woke me, child, into what golden dream?).

Das zweite & dritte Jahr 44

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44

Alles ernst nehmen. Alles: jede Regung, jede Äußerung, jeden Wunsch, jeden Widerstand, jedes Nein, jedes Ja, jede Fügung, jeden Gedanken und jeden Witz. Alles nehmen als das, was es ist. Den Wunsch als Wunsch, den Widerstand als Widerstand, das Nein als Nein … Nichts übergehen, indem wir es zu etwas Anderem machen. Oder zu Nichts, es ignorieren. Das Sensorium unseres Babys ist fein.Wir dürfen nicht davon ausgehen, es könnte irgendetwas nicht spüren. All unser Tun wirkt (das lässt uns nicht unser Größenwahn glauben, sind wir selber doch nur Folgen von Wirkungen). Wir könnten nicht verhindern, dass unser Tun wirkt. Unser Tun ist sofort Wirkung. Unser Tun: Worte, Taten, Gesten, das unendliche Reich unserer heimlichen Gedanken, Wünsche, Gefühle. So bringt uns unser Baby dazu, in Allem zu uns selbst zurückzukehren, uns fortwährend zu beobachten, uns niemals aus dem Auge (das weiter blickt als wir) zu verlieren. Es geht um unser Baby und es geht um uns. (Immer noch nennen wir unser Kind unser Baby, obwohl es uns dazu nur noch wenig Anlaß gibt. Dieses Benennen werden wir wohl nie aufgeben, nur nach innen verschieben. Unser Baby: wir nennen es auch so, um unserem Meister weiterhin habhaft werden zu können; denn die Meisterschaft begann mit dem Baby, und würden wir diesen Anfang aufgeben und nur noch von unserem Kind sprechen, glauben wir, würden wir die Tiefe unseres Meisters verlieren. Tief ist unser Meister, weil er unter unseren Blicken und deinen Schmerzen, die auch – wenn auch nur vermittelt durch dich – meine waren, geboren wurde.) Wir nehmen also ernst, was uns widerfährt, auch das kleinste Geschehen schütteln wir nicht ab, würde es uns auch leicht fallen. Unser Kind zieht seine Schuhe nicht an, will sie nicht anziehen, oder alleine, oder verkehrt , den rechten Schuh an den linken Fuß und den linken Schuh an den rechten Fuß und dann reißt unsere Geduld und ein Zorn überkommt uns (ein heiliger Zorn zweifellos, weil er uns, wenn wir auch ihn ernst nehmen, auf uns zurücklenkt), der uns zum Beben bringt und ins voreilige, eingreifende, entschiedene Handeln treiben will, als könnten wir auf diese Weise unseren Zorn besänftigen und zum Verglühen bringen. Aber es ist so: unser Kind zieht seine Schuhe nicht an! Das bedeutet: es will seine Schuhe nicht anziehen. Nichts sonst bedeutet es. Es ist kein Widerstand gegen uns und selbst wenn es einer wäre, wäre es eben nichts als ein Widerstand gegen uns. Lassen wir unser Kind seine Schuhe nicht anziehen. Solange es will. Lassen wir uns von unserem Zorn nicht dazu bringen, den Unwillen unseres Kindes nicht ernst zu nehmen. Einen Unwillen, der sein Wille ist. Unser Zorn lässt uns nur die Stimme erheben, ungeduldig etwas rufen, ungerecht werden, sogar überheblich. Lassen wir unseren Zorn bei uns, werfen wir ihn nicht über unser Kind, was immer wir uns einreden mögen, warum wir zu unserem Zorn berechtigt sind. Nie ist unser Zorn etwas anderes als unser Zorn! Er führt uns fort von uns, fort von unserem Kind, wirft uns aus der Welt in ein kleines, enges, hartes Universum, das nicht als diesen Zorn kennt.  Unser Baby, unser Kind, unser Meister bringt uns immer wieder dazu, zornig zu werden, oder wütend, oder enttäuscht, oder beleidigt, immer wieder entstehen diese kleinen, engen, harten Universen, eine Entstehung mit der sich unser Leben augenblicklich in Gefangenschaft, Selbstgefangenschaft verwandelt. Unser Baby, unser Kind, unser Meister lässt uns nicht in Ruhe. Denn wir müssen viel üben. Und so macht unser Sohn immer wieder das Gegenteil von dem, was wir als richtig erachten, sagt unser Sohn Nein, wenn wir gerne ein Ja hätten, läuft davon, wenn wir wollen, dass er bei uns bleibt, wirft zu Boden, was auf den Tisch gehört, zerreißt, was wir noch lesen wollten … Klug sind wir erst, wenn wir nicht mehr für unser Kind wollen, an seiner Statt wollen. Selig, die arm an Geist, denn ihnen gehört das Himmelreich lautet einer dieser biblischen Wundersprüche. In Meister Eckharts Deutung: Denn nur das ist ein armer Mensch, der nichts will und nichts verlangt. Wollen wir, wollen wir für unser Kind, gegen unser Kind, so gelangen wir schnell in die Hölle (auch sie ist ein kleines, enges Universum, wenn auch durchaus angenehm gewärmt, nicht unvertraut, ein leichter Ort, leicht zu erreichen, leichter als das Himmelreich allemal). Wollen wir nichts, wollen wir nichts für unser Kind, gegen unser Kind, so spannt sich rasch der Himmel über uns auf. Tatsächlich der Himmel: wir staunen. So einfach? Ist nicht einfach. Aber es gelingt, indem wir alles: jede Regung, jede Äußerung, jeden Wunsch, jeden Widerstand, jedes Nein, jedes Ja, jede Fügung, jeden Gedanken und jeden Witz ernst nehmen. Dann verliert sich unser Wille. Dann braucht es ihn nicht. Dann verliert sich der Zorn (Noch einmal Meister Eckhart: Die liebende Seele wird zornig von ihrer Selbsterkenntnis. So erweist sich unser Zorn doch wesentlich als unser Widerstand gegen die geringe Reichweite, die Ohnmacht unseres Willens. Einen Willen, den wir sogar bereit sind mit Gewalt durchzusetzen und zu erfüllen. So sind wir. Und so sind wir auch: wir lassen den Zorn zu Hause und sehen ab von uns und unser Kind zieht seine Schuhe an, den linken Schuh an den linken Fuß und den rechten Schuh an den rechten Fuß, unser Kind wirft nur den Löffel vom Tisch, aber schon nicht mehr die Gabel, unser Kind will dorthin gehen, wo wir hingehen wollen, und will es nicht dorthin gehen, wo wir hingehen wollen oder müssen oder sollen, dann sind wir nicht beleidigt, zornig, schlechtlaunig … weil unser Baby, unser Kind, unser Meister unsere Selbsterkenntnis vorantreibt und nicht müde wird sie zu wiederholen: wir sind nicht unser Kind und unser Kind ist nicht wir.)

Take everything seriously. Every impulse, every utterance, every wish, every resistance, every no, every yes, every fortunate acident, every thought, and every joke. Take everything as it is. The wish as a wish, resistance as resistance, the no as a no . . . Not bypassing anything by turning it into something else. Or into nothing, ignoring it. Our baby’s sensory apparatus is acute and subtle. We must not assume that he might not be aware of something. Every one of our actions has an effect (this is not a megalomaniacal notion, for we ourselves are no more than results and effects). We cannot prevent our actions from having an effect. Words, actions, gestures, the infinite realm of our secret thoughts, wishes, feelings. Thus our baby leads us to come back to ourselves in all things, observing us constantly, never letting us out his sight (which sees farther than we do). It’s all about our baby and it’s all about us. (We still call our child our baby, even though he no longer gives us much reason to do so. This is probably a name we will never give up but only displace inwards.  Our baby: one reason we call him this is to continue to have our teacher, our master at hand, for our mastery began with the baby, and we believe that if we gave up this beginning and only spoke of our child, we would lose our master’s depth. Our master is deep, because he was born among our gazes and in your pains, which were also – albeit only through your intermediation – my own.) So we take everything that happens to us seriously, refusing to shake off even the smallest event, however easy it might be for us to do so. Our child is not putting on his shoes, doesn’t want to put them on, or not by himself, or does it the wrong way, the right shoe on the left foot and the left shoe on the right foot, and then our patience wears thin and anger overcomes us (a holy wrath, no doubt, because, if we take it seriously too, it brings us back to ourselves), making us shake, trying to drive us into premature, intervening, decisive action, as if in this way we could pacify our anger, stifle its heat. But this is how it is: our child is not putting on his shoes! That means: he does not want to put on his shoes. It means nothing more than that. It’s not resistance against us, and even if it were his resistance against us, it would be nothing more than his resistance against us. Let us let our child not put on his shoes. As long as he wants. Let us not let our anger lead us to not take our child’s unwillingness seriously. An unwillingness that is his will. Our anger only moves us to raise our voice, to call out impatiently, to become a little unjust, even arrogant. Let us keep our anger to ourselves, let us not throw it at our child, no matter how convinced we may be that our anger is justified. Never is our anger anything other than our anger! It leads us away from ourselves, casts us out of our world into a small, narrow, hard universe that knows nothing but this anger. Our baby, our child, our little master makes us angry again and again, or furious, or disappointed, or offended; again and again these small, narrow, hard universes come into being, an emergence that immediately transforms our life into an imprisonment, a self-imprisonment. Our baby, our child, our master does not leave us in peace. For we need to practice a lot. And so our son keeps doing the opposite of what we consider to be the right thing; again and again our son says no when we would have like to hear yes, runs off when we want him to stay near us, throws to the ground what belongs on the table, tears up what we still wanted to read . . . We don’t wise up until we no longer want anything for our child, want anything in his stead. Blessed are the poor in  spirit, for theirs is the kingdom of heaven, it says in the Bible. In Master Eckhard’s interpretation: For only that man is poor who wants nothing and asks for nothing. When we want anything, want anything for our child, against our child, we swiftly go to hell (for hell, too, is a small, narrow universe, equipped though it is with a rather pleasant temperature, not unfamiliar, an easy place, easy accessible, certainly more accessible than the kingdom of heaven). If we want nothing, want nothing for our child, against our child, the expanse of heaven quickly spreads above us: the sky. Truly, there it is. We are amazed. Is it that simple? It is not simple. But it can be done if we take every impulse, every utterance, every wish, every resistance, every no, every yes, every fortunate accident and every joke seriously. Then our will dissipates. Then it is not needed. Then anger dissipates (once again Master Eckhart: The loving soul grows angry at her knowledge of herself. Thus our anger turns out to be mainly our resistance against the limited reach, the impotence of our will. A will we are prepared to assert and fulfill by force. This is how we are. And we are like this as well: we leave our anger at home and set ourselves aside and our child puts on his shoes, his right shoe on his right foot, his left shoe on his left foot, our child only throws a spoon from the table and already no longer the fork, our child wants to go where we want to go, and if he does not want to go where we want to or must or should go, then we are not offended, angry, ill-humored . . . because our baby, our child, our master is advancing our self-knowledge and never tires of repeating himself: we are not our child and our child is not us.)

Das zweite & dritte Jahr 43

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Weihnachtsfest: Lobfest der Kindheit! Ehrung der Kleinsten! Anbetung ihrer Würde und Unschuld! Ehrfurcht vor ihrer Verletzlichkeit! Glücksbringer, Schicksalsüberwinder! Das Gute entsteht immer wieder aufs Neue. (Niemals wurde ein böses Kind geboren!) Der Anfang ist nur gut, nichts als gut. Der Anfang ist klein und von fester Zartheit. Lebendig, ohne Spuren des Todes in sich zu tragen. Wir feiern die Wiederkehr, die selbst etwas Unwandelbares ist, einzig ewig und ohne Sehnsucht nach mehr. Die Wiederkehr ist wie ein Gesetz, dem wir unterstehen, unwandelbar, wundersam. Wir können uns nicht um sie bemühen, sie geschieht von selbst. Ochs und Esel sehen zu, bezeugen sie. Die Krippe mit dem Neugeborenen im Stroh: das Stroh ist so angenehm leicht, wärmend, so als Haufen ein himmlisches Gekritzel (Cy Twomblys Kunst ist, umso kunstloser sie daherkommt, Schöpfungsnähe. Kritzeleien, die ein wenig süchtig machen. Manchmal sehr, dann greifen die Augen ins Bild und verschwinden darin. Das Baby, das kein Baby mehr ist, auf dem Arm, gehen wir von Bild zu Bild. Und jetzt sehen wir das noch an, sagt das Kind, und jetzt das – immer, wenn wir gerade mit dem Verweilen angefangen haben, rücken wir zum nächsten Bild vor. Später im Museumscafé nehmen wir einen Espresso, einen Kindercappuccino und ein Cookie. Ich preise das Sein mit dem Kind. Nur vom einzig besetzten Nebentisch dringt Störendes in meine wohlige, heimlich-zurückhaltende Euphorie. Vier Senioren, zwei Paare tauschen sich aus über Häuser und Infrastruktur, Geld und Abrechnung. Dann wechseln sie zu Maria und Joseph und dem Jesuskindchen, ein paar launige Bemerkungen, gemeinsames überlegenes Lachen, das sie in der Vermessenheit wiegt, sie hätten ihre Herkunft überwunden, seien heute in ihrem Leben, im Leben überhaupt Damen und Herren des Geschehens. Dann bringt mein Sohn seinen leeren Teller zurück zur Theke, während er noch an einem großen Stück Cookie kaut: seine dicke Backe lässt eine der beiden Frauen sich heiter über seinen Appetit äußern. Aber es ist gar keine Heiterkeit in ihr und ihren Worten, nur wieder die selbe Überheblichkeit und der Glaube an sie selbst. Mein Sohn bemerkt diese Frau nicht, aber nicht, weil er nicht aufmerksam ist. Sein Nichtbemerken scheint mir eine ganz besondere Fähigkeit zu sein, die ich nur staunend meinerseits bemerken kann. Kritzeleien all das, denke ich, das Café, die Frau, meine Gedanken. Weder schön, noch unschön – wie ein Twombly. Wie hat die Schönheit es nur geschafft, der Kunst zu entkommen!) Lob der Kindheit, Ruhe der Kindheit! Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! Aber wir haben ja nur Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe … Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht; im Kind ist Freiheit allein. In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts. So feiert Friedrich Hölderlin seine eigene Weihnacht in Hyperion (oh, ja, es ist eine Weihnacht, wir spüren es sofort; noch bevor wir es denken, wir beim Lesen gleich von Hölderlin Infizierten). Wir müssen also auf dem Weihnachtsfest beharren, wir wollen es nie aufgeben oder im Strom der Alltäglichkeit untergehen lassen. Wir können es nicht jeden Tag und unaufhörlich feiern, aber wir können durchaus so tun als ob. Mit unserem Sohn sind wir herausgewachsen aus dem Baby und hinein in die Kindheit. Noch trägt er viele Spuren des Babyseins in sich (auch wenn er sagt: ich bin kein Baby mehr, ich bin ein kleiner Junge), noch ist seine Vollkommenheit nicht schmaler geworden (auch wenn sie Dellen bekommen hat), noch ist sein Mut und Ja zum Leben nicht gesunken, nicht leiser geworden (auch wenn eine Stille manchmal in ihn einkehrt, als würde er sich besinnen und die Tragweite des Lebens zu ermessen versuchen). (Für unser Kind war es im Grunde das erste Weihnachtsfest, im Umkreis des dritten Jahres seines Lebens sieht es sich selbst in der Krippe liegen, es lässt sich im kleinen Jesuslein selbst feiern, plötzlich weiß es in den Mittelpunkt zu rücken, will es dorthin, möchte sich selbst zum Zentrum machen – auch das eine Delle seiner Vollkommenheit, war es doch als Baby das zentrumslose Zentrum, das uns, da wir das niemals begreifen konnten, zum Schweigen und Staunen brachte. Tatsächlich haben wir uns, ohne es zu bemerken, von unserem Baby verabschiedet, der stillste denkbare Abschied war das, ein Abschied auf immer, den wir erst anfingen zu spüren als er längst vollzogen war. So war es am schmerzlosesten, unser schlaues Baby, unser rücksichtsvoller Meister hat uns keine Ablenkung durch Kummer besorgt, es, er ließ uns fröhlich weiter Babyelternsein, als es längst schon hinter dem Horizont seiner ersten Tage und Wochen untergegangen war. Ja, unser Baby ist zum Kind erwacht, sein erstes großes Erwachen, wir hoffen, es war ein Erwachen zum richtigen Zeitpunkt. Denn auch so heißt es bei Hölderlin: Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt.)

Christmas: festival in praise of children! Honor to the smallest! Adoration of their dignity and innocence! Awe before their vulnerability! Bringers of happiness, overcomers of fate! The Good comes into being again and again. (Never has an evil child been born!) The beginning is only good, nothing but good. The beginning is small and of a sturdy delicacy. Alive, without bearing any traces of death within itself. We are celebrating the return, which is itself an unchangeable thing, singular and eternal and without any longing for more. The return is like a law to which we are subject, immutable, wondrous. We cannot seek it out, it happens of itself. The ox and the donkey observe the return, they are its witness. The manger with the newborn child in the straw: the straw is so pleasantly light, warming, scattered in a heap like celestial scribbling (Cy Twombly’s art: the more artlessly it disports itself, the closer it is to the source of Creation. Scribblings that can become a little addictive. Sometimes a lot: then the eyes reach into the painting and disappear in it. With our baby, who is no longer a baby, on our arm, we go from painting to painting. And now let’s look at that, the child says, and now that – always when we have just begun to linger we move on to the next picture. Later in the museum café we take an espresso, a children’s cappuccino and a cookie. I praise existence with the child. But from the only occupied table near us, something disruptive enters my cozy, furtively low-key euphoria. Four seniors, two couples, are exchanging views about houses and infrastructure, money and settling accounts. Then they switch to Mary and Joseph and the baby Jesus, a few jokey remarks, followed by superior laughter that cradles them in the presumption that they have risen above their origins, that today in their life, in life altogether, they are ladies and gentlemen of what is happening. Then my son brings his empty dish back to the counter while he is still chewing a large piece of cookie; his full cheek makes one of the two women cheerfully comment on his appetite. But there is no cheerfulness either in her or her words, just once again the same arrogant self-conceit. My son does not notice this woman at all, but not because he is not attentive. His not noticing strikes me as a very special ability which I, for my part,  can only notice with astonishment. Scribblings, all of this, I think, the café, the woman, my thoughts. Neither lovely nor unlovely – like a Twombly. How did beauty manage to escape art!) Praise of childhood, peace of childhood. Peace of childhood! heavenly peace! How often do I pause before you in loving contemplation, and try to conceive of you! But our concepts are only of what has degenerated and has been repaired; of childhood, of innocence we have no concept . . . Yes! divine is the being of the child, so long as it has not been dipped in the chameleon colors of men. The child is wholly what it is, and that is why it is so beautiful. The compulsion of law and of fate touch it not; only in the child is freedom;. In the child is peace; it has not yet come to odds within itself. Wealth is within it; it knows not its heart nor the inadequacy of life. It is immortal, for it knows nothing of death. Thus Friedrich Hölderlin celebrates his own Christmas in Hyperion (oh yes, it is a Christmas, we sense this right away, before we think it, we who in reading are immediately infected by Hölderlin). So we must insist on Christmas, we will not give it up or allow it to drown in the river of commonplace happenings. We cannot celebrate it every day without cease, but we can certainly act as if we could. Together with our son we have grown out of the baby and into childhood. He still carries many traces of babyhood in himself (even when he says, I’m no longer a baby, I’m a little boy), his perfection has still not yet become narrow (though it has been dented a bit), his courage, his Yes to life have not diminished or become muted (even though stillness sometimes settles into him, as though he were trying to take stock of the import of life). (For our child it was basically the first Christmas, in the compass of the third year of his life he sees himself lying in the manger, lets himself be celebrated in the little baby Jesus, suddenly knows how to move into the center, wants to be there, make himself the center – this, too, is a dent in his perfection; for when he was a baby, he was the centerless center that reduced us, who could never comprehend this, to silence and astonishment. Indeed, unbeknownst to ourselves, we have taken leave of our baby, and it was the quietest leave-taking imaginable, a farewell for ever, which we only began to feel long after it had transpired. That was the least painful way he could do it, our clever baby, our considerate master did not supply us with the distraction of sorrow but allowed us to continue being cheerful baby parents long after he had descended behind the horizon of his first days and weeks. Yes, our baby has awakened into childhood, his first great awakening, we hope it was an awakening at the right moment. For this too is something Hölderlin said: But the time of awakening is beautiful too, if only we are not awakened at an untimely hour.)