Das zweite & dritte Jahr 42

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42

Das eine ist die Angst, das andere die Lust. (Wirklich? Zu unlustig bin ich gerade, Ähnlichkeiten und Verwandschaften zwischen Angst und Lust zu verfolgen – nur die eine jedenfalls lässt sich sofort nicht übersehen: beide strotzen nur so vor Energie, die tätig werden will. Heimlicher die Angst, unheimlicher die Lust. – Und außerdem: so manche Spur soll erstmal ruhn.) Nichts Geschriebenes fordert mehr auf zu Zeugung, nichts Geschriebenes rät lustvoller, lustversessener, lustbesessener zu einem Nachkommen als Shakespeares Sonette. Unlooked on diest unless thou get a son // Vergessen stirbst du, hast du keinen Sohn. (Gewissenlos geschlechtsparteiisch nehme ich diese Festlegung auf einen männlichen Nachkommen freudvoll, lustvoll an. Einen Sohn sollst du zeugen! So steht es bei Shakespeare, also muss es wahr und richtig sein!) Es ist eine Lust, zu zeugen, nicht nur in dem praktischen, handfesten, fleischlichen Sinn, es ist eine Überlust, die Lebenslust, die sich selbst um ihr Fortleben bemüht, die sich in unseren Nachfahren inkarnieren möchte. Unsere Nachkommen, das sind wir, die wir unsere durchaus heilige Pflicht erfüllen, uns selbst nicht verblühen zu lassen, auch wenn jedem von uns der Herbst droht. But as the riper shoult by time decease / His tender heir might bear his memory // Muß auch die Zeit den reifen Mann verheeren, In seinem zarten Sprößling lebt er fort. Die Schönheit scheint durch uns hindurchzublühen, wir sind Etappen des Weges der Schönheit, eines Weges, der womöglich (wahrscheinlich) nirgendwo hin führt. Wir sind schön! Dabei wollen wir kurz verweilen. Wir sind schön! Das sollten wir nie außer acht lassen. Uns richtig und gemäß an unsere Schönheit erinnern. Und an die Hege und Pflege unserer Schönheit, die mehr von uns will, als uns allein zu gehören. Kinderlosigkeit ist Frevel, Frevel der Schönheit gegenüber, Frevel gegenüber dem Leben selbst. Und: Then what could death do if thou shouldst depart / Leaving thee living in posterity? // Die Macht des Todes ist nur halb so groß, / Kannst du in deinem Nachwuchs fortbestehn. Also macht die Zeugung auch aus dem gefürchteten Tod eine nur kleine Nervensäge, denn nichts vermag der Tod anzurichten, wenn die Kette der Nachkommen nicht unterbrochen wird. Aber man sollte sich seiner selbst nicht zu sicher sein. Der lebendigste Blick gebührt dem Baby, dem kleinen Jungen, so wie sein Blick an seinem Lebensmittag dem Blick seines Nachkommen gebühren soll. To give away your self, keeps your self still, / And you must live drawn by your own sweet skill. // Ja, gib dich hin, dann wird`s dich ewig geben. / Dein süßer Stift verlängert dir das Leben. Also: Gib her dein Selbst, so wirst du es behalten! Und lebst so durch dein eignes, wonniges Gestalten! Werf ich mich weg, find ich mich wieder. Eine schöne Form zu leben, die du mir da rätst und der ich nachgekommen bin. Du? Du Shakespeare! Aber diese fortwährende Mahnen und Raten der Sonette zu Fruchtbarkeit und ichverlorenem Lebenswillen, könnte das nicht dein Mahnen und Raten sein, das Mahnen und Raten meiner Frau, dem ich doch längst (auch ich und du und unser Kind), als gerade die vierzig Winter unsere Stirn belagerten, sofort und umgehend nachgekommen bin, erfolgreich und nun also ich mich als erhoben und erlöst von Shakespeares herrlich drängender Kunst betrachten kann (als erhoben und erlöst auch dich)? Ganz anders, ganz ganz anders die Jungfrauenzeugung, die um diese Weihnachtszeit sich wieder (wie jedes Jahr) Gehör verschafft (zuletzt in einer trotz kaltem Kirchenraum warmen Messe der Jesuitenkirche, angewärmt von der unüberhörbaren Stimme des Paters, einer paternalen Stimme, aus der der Widerstand gegen das Schwinden des Glaubens doch auch herauszuhören war): … fürchte dich nicht Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das hat sie vom heiligen Geist empfangen. Und aus dieser geistigen Zeugung wurde Handfestes, Fleisch, Baby. Kein aufgeklärter Geist möchte das glauben, kann es glauben. Jungfrauenzeugung ist für jeden Verstand das Undenkbarste, nur aus Sentimentalität und Kinderliebe toleriert er es, wem oder was könnte dieser Glaube schon noch Schaden anrichten? Doch eigenartig, obwohl wir wissen um die Körperlichkeit unserer Zeugung, berührt uns dieser Glaube an die zeugende Kraft des Geistes, an seine Fähigkeit, die Barriere zwischen Geist und Fleisch zu überwinden, aufs leichteste Tiefste. Wieso sind wir uns so sicher, fragen wir uns, dass nur wir es waren, die zeugten (was gerade das Auspusten von Kerzen lernt, die Sammlung des Atems zum löschenden Strahl; und jetzt pusten, mein Sohn!)? Ja, wir allein, denken wir jetzt, waren es nicht, sind wir in der Zeugung nicht ebenso Geist wie wir Fleisch sind? Sind wir vielleicht nur Geist und nur gedachtes Fleisch? Die Lust des Geistes, eine Lust zu phantasieren auch vom Fleisch? Wieder Shakespeare, die Lust des Geistes ist unüberhörbar (wie bei unserem Pater): But were some child of yours alive that time / You should live twice in it, and in my rhyme. // Doch zweifach, wäre dir ein Kind gegeben, In ihm und meinen Versen wirst du leben. Zweifach einfach sind wir, haben wir gezeugt.

Fear is one thing, pleasure another. (Really? I feel no pleasure at all in the prospect of tracking down the similarities and interrelations of fear and pleasure – though one similarity is so blatantly obvious it is impossible to overlook: both are brimful of energy eager to move into action. Fear proceeds a little more secretively; pleasure, a little more uncannily. – And for the rest: not every trail is worth following.) No written words call for procreation or offer a lustier or more lust-obsessed, lust-possessed incitement to produce progeny than Shakespeare’s sonnets. Unlooked on diest unless thou get a son. I accept this fixation on a male descendant with unconscionable, indeed joyous, happy gender preference. Thou shalt beget a son! It says so in Shakespeare, so it must be true and right!) Procreation is a delight, not only in the practical, tangible, carnal sense, it is a supreme delight, this lust for life endeavoring to perpetuate itself by incarnating in our progeny. Our descendants are ourselves, who are fulfilling our absolutely sacred duty to not allow ourselves to wither, even though Autumn threatens every one of us. But as the riper should by time decease / His tender heir might bear his memory. Beauty seems to flower through us, we are stages on the path of beauty, a path that possibly (probably) leads nowhere. We are beautiful. Let us briefly dwell on that. We are beautiful! This we should never disregard. To truly and appropriately remember our beauty. And to nurture and take care of our beauty, which wants more of us than that it should belong to us alone. Childlessness is blasphemy, blasphemy toward beauty, blasphemy toward life itself. And: Then what could death do if thou shouldst depart / Leaving thee living in posterity. So procreation makes of dreaded death a minor nuisance, for death has no power if the chain of posterity remains unbroken. But one should not be too sure of oneself. Our most spirited gaze is due to the baby, the little boy, just as in the noonday of his life, his gaze will be due to his progeny. To give away your self, keeps your self still, / And you must live drawn by your own sweet skill. That means: give up your self, and you will have yourself, thus living through your own creative bliss. Having thrown myself away, I find myself again. A beautiful way of living, which you recommend to me and which I have adopted. You? You Shakespeare! But the sonnets’ perpetual prodding and urging its reader to be fruitful in the self-abandoned will to life, could that not be your prodding, your urging, my wife’s prodding and urging, which I long since immediately and promptly and successfully heeded (I too and you and our child) when forty winters were just starting to lay siege to our brow, so that I now can regard myself as having been elevated and redeemed by Shakespeare’s gloriously urgent art (and you too as having been elevated and redeemed)? Quite differently, utterly differently from parthenogenesis, which finds its voice again (as it does every year) this Christmas (most recently at a Mass in the Jesuitenkirche, which was warm despite the frigid air inside the church, warmed by the priest’s unmistakable voice, a fatherly voice in which resistance to the diminution of faith was nonetheless discernible): do not be afraid to take Mary home as your wife, because what is conceived in her is from the Holy Spirit. And from this spiritual procreation there came something tangible, flesh, a baby. No enlightened mind wants to believe this, or can believe it. Parthenogenesis is the most inconceivable notion to the understanding; indeed the mind can only tolerate it out of sentimentality and the love of children, and after all, who or what is hurt by this belief? But strangely, even though we are informed as to the physicality of procreation, this belief in the procreative power of the spirit, its ability to overcome the barrier between spirit and flesh, touches us in a most profound and effortless way. Why are we so sure, we ask ourselves, that it was only we who begat (which is something the snuffing of candles teaches, the gathering of the breath for the extinguishing blast: and now blow, my son!)? Yes, we think now, it was not we alone; are we not, in the act of procreation, as much spirit as we are flesh? Are we perhaps only spirit, and the flesh is an imaginary addition? The delights of the spirit, the delight of conceiving, which is also a conceiving of and in the flesh. Shakespeare again, the delight of the spirit is unmistakable (as it was with our priest): But were some child of yours alive that time / You should live twice in it, and in my rhyme. We are doubly single, and so was our begetting too.

Das zweite & dritte Jahr 41

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41

Ich erinnere mich an furchtsame Tage, bevor das Baby zu uns kam. Fragen, Mutmaßungen, Bedenken. Als könnte sein Erscheinen mir das Leben rauben. Als würde da jemand kommen, der die Fähigkeit mitbrächte, durch sein bloßes in die Welt treten (in meine Welt) mein Leben vollständig in sein Leben einzusaugen. Meine Freiheit in seinem Willen aufzulösen. Ein kleiner Dämon, dessen Kommen unausweichlich bevorstand, wie vorhergesagt, ein Messias, dessen Wirken mich wirkungslos machen könnte. Das Schicksal, fürchtete ich, könnte über mich hereinbrechen. Und ich war (mit) schuld daran. Um so schlimmer. Das Schicksal, ängstigte ich mich, würde wie eine Walze sein, die die Zuckungen, Regungen, Ausschläge meines Lebens plätten und wie eine Lawine, die mich Geplätteten unter sich begraben würde. Tatsächlich spürte ich in diesen Tagen, alles, was in Zukunft geschehen würde, als ein physisches Vorrücken gegen mich. Mein Raum in dieser Welt war bedroht. Ein noch nicht Geborenes griff nach ihm, fing an ihn auszufüllen und ich fing in Gedanken an, zum Rand hin auszuweichen, womöglich würde ich sogar aus meinem Raum herausfallen. Die Angst ist stark. Im Grunde bewundernswert in ihrer Stärke. Leise regt sie sich wie das erste Lüftlein nach einem windstillen, heißen Sommertag. Angenehme kleine Abkühlung. Unbestimmte Furcht, leises Zittern. Über Tage hin ruht sie in diese ungefährlichen Bewegung, bevor sie sich auswächst. Ich hätte sie zurückhalten können, Unterdrückung ist nichts, dessen ich nicht fähig wäre. Aber ich wollte sie nicht zur Seite schieben, nicht fesseln, ich dachte an unser Kind, das anderes verdiente und brauchte. Sein Vater sollte Mut beweisen. So ließ ich die Furcht, dieses verspielte Häppchen Angst, sich aufblähen und füllen, wie sie nur konnte. Die Angst vor dem eigenen Kind! Vor dem ungeborenen Kind. Vor dem unsichtbar sichtbaren Wesen, das in deinem Bauch heranwuchs. Du in deiner heiteren Schwangerschaft konntest mir nicht helfen. Mich nicht verstehen. Du wolltest mich an meine Vorfreude erinnern, aber ich wollte nicht erinnert werden. Diese Erinnerung würde mich betäuben, mir meine Angst ein wenig rauben, diese gewaltige Energie, die sich nicht umsonst sammeln sollte. Ich wollte in den Schlund der Angst fallen, eigenmächtig springen, nicht gestoßen werden, in diesen bodenlosen Abgrund, der sich merkwürdigerweise erst zu ganzer (dem, der sie hat entsprechender) Größe öffnet, wenn sie nichts mehr zurückhält und sie von niemandem länger zurückgehalten wird. Erst wenn sie ganz (vollkommen, allmächtig) ist, ist sie auch offen. Ich fühlte mich also durchaus bereit zur Transformation (die ich dem nahenden Baby verdanken würde), die auch eine Transformation weg vom schlechten Image der Angst sein würde. Paul Valéry schreibt in den Cahiers: Die Angst neigt dazu, den Kreis zu schließen, von vorne zu beginnen, was die Gedanken von sich aus unbegrenzt zu transformieren trachten. Sie ist also eine Behinderung von Transformation … Die Angst ist eine Degeneration der Aufmerksamkeit. Gut gedacht, aber das Gedachte hat nur Gültigkeit für die abgewehrte Angst. Die vom Glauben an die Freiheit der Gedanken überwältigte Angst. Der Automatismus der Angstabwehr war mir durchaus bekannt. Unser Baby stellte ihn auf eine neue Probe, intensiver als alle vorangegangenen Proben. Eine Probe, die, falls ich sie einigermaßen bestand, der Angst die Schwärze abgerungen haben würde. Ich ließ mich (wann genau es sich so verhielt, ist schwer zu sagen, denn die Angst ist auch ein Aal) also auf die Angst ein. Die Angst, die mir das kommende Kind einflößte. Es war sozusagen die erste Übung des kleinen Meisters, Babybuddhas deutlich spürbarer Anfang, die er – fast noch aus dem Jenseits, kam mir vor – mir stellte. Das Baby, nicht mehr als ein Luftzug, rief mir zu (mit so lauter Stimme wie sie die Wirklichkeit des Diesseits niemals zustande brächte): Fürchte dich! Fürchte dich vor mir! Und ich kam dem nach. Gehorchte und folgte. Bis dorthin, wo sich die Befürchtung, das Baby, mein Baby, unser Baby könnte mein Leben erobern und sich über Jahre in ihm als eine gestrenge Besatzungsmacht gebärden, in ihr Gegenteil verkehrte. Ich ging soweit, zu wollen, dass mein Baby mir mein Leben raubte. Sollte es doch! Ja! Mit größter Aufmerksamkeit konnte ich diesem Diebstahl zusehen. Ich konnte mitmachen, mein eigener Dieb werden. Und mit einem Siehe da! (dem Gemeinplatz aller Transformation) verschwand die Angst, verpuffte zu nichts, löste sich in einem einzigen Augenblick auf, als wäre sie nie gewesen. Nun konnte unser Kind geboren werden. (Natürlich war und bin ich nicht so verwegen zu glauben, die Angst hätte sich nun ein für alle Mal erledigt. Sie würde unvermutet, ungeahnt irgendwann wieder entstehen, genauso rätselhaft wie jedes neue Leben entsteht. Und es ist auch nicht so, dass ich mich auf die nächste Angst freuen würde; aber doch sehe ich ihr mit einer gewissen Ehrfurcht entgegen, bewundere jetzt schon ihre kommende Macht als wäre ich schon ganz und gar vertraut mit ihrer mysteriöse Art der Fürsorge. – Unser Kind hat eine Leidenschaft für das Laufrad entwickelt und daraus wuchs nach wenigen Tagen eine noch größere Leidenschaft für Geschwindigkeit. Die Stadt ist nicht für kleine Kinder gemacht. Einem schnell dahinrollenden Kind droht an jeder Ecke Gefahr. Manchmal entwischt uns unser Kind, überhört jedes Rufen, wie es jedes sich von links oder rechts rasch nähernde Auto übersieht und so steuert es auf seine heitere Art, Worte rufend, singend geradewegs ins Unglück – kleine Augenblicke unseres Entsetzens folgen, eine rasend schnell phantasierende Angst explodiert in uns und jagt uns unserem Kind hinterher. Diese Angst, die uns vordergründig ins richtige Handeln treibt, schmilzt im unwissenden Blick unseres Babys, das wir an seiner Kapuze festhalten, zu einem listigen Vorspiel dessen, was uns alles noch bevorstehen wird.)

I remember fearful days before the baby came to us. Questions, conjectures, misgivings. As though his arrival could rob me of my life. As though someone were coming who, by the mere act of entering the world (my world), brought with him a capacity to suck my entire life into his life. To dissolve my freedom into his will. A little demon whose coming was inescapably imminent, a Messiah whose effect would be to render me ineffective. Fate, I feared, might burst in upon me. And it was my own (partial) doing that had set it in motion. Which made it all the worse. Fate, I imagined, would flatten the stirring, darting, expansive motions of my life and then bury beneath its sheer weight whatever remained of this flattened life, like an avalanche. In those days I was actually feeling everything that would happen in the future as a physical menace advancing in my direction. My space in this world was endangered. Something that was not yet born was already reaching for it, was beginning to fill it out, and in my thoughts I was starting to evade its advance by retreating to the edges of my space, which in turn made me fear falling out of my space altogether. Anxiety is powerful, indeed its power is nothing less than admirable. It begins like the faintest stirring of air after the windless calm of a hot afternoon. A pleasant, cooling motion. A vague anxiety, a slight trembling. For days it hovers in this quiet agitation, not really threatening yet, before it begins to build up. I could have held it back; suppression is not beyond my capacity. But I didn’t want to push it aside or bind it, I thought of our child, who deserved and needed something else. His father ought to show some courage. So I allowed the fear, this playful little bit of anxiety, to swell and bloat as far as it would. Fear of one’s own child! One’s unborn child. Fear of the invisibly visible being that was growing inside your belly. You in your serene pregnancy could not help me. Or understand me. You wanted to remind me of my happy expectations, but I didn’t want to be reminded. That memory would stun me, would rob me a little of my fear, this tremendous energy: I did not want it to have grown for no purpose. I wanted to fall into the maw of fear, leap of my own free will, instead of being pushed, into this bottomless abyss which, strangely, does not open up to its complete size (the size fitting the one who has it) until  it no longer holds back anything and is no longer held back by anyone. Only when it is complete (perfect, all-powerful), is it perfectly open. So I was feeling quite prepared for the transformation I would undergo (thanks to the approaching baby), a transformation that would also be a departure from fear’s bad image. Paul Valéry writes in his Cahiers: Fear tends to close the circle, to return to the beginning of what the free play of thought, unhindered, seeks to transform without limit. Therefore fear is a hindrance to transformation. . . . Fear is a degeneration of attention. That is a well conceived thought, but the thought is valid only with respect to the fear that has been fended off. Fear overpowered by belief in the freedom of thought. I was well acquainted with the automatism of the defense against anxiety. Our baby was putting it to a test that was more intense than all previous tests. A test which, if I managed to pass it to some degree, would have shorn anxiety of its blackness. So I engaged with fear (though it is hard to say when that was, for fear is an eel, among other things). The fear instilled in me by the approaching child. It was, in a sense, BabyBuddha’s palpable beginning, the first practice given to me – still from the beyond, it seemed – by the little Master. The baby, no more than a draught of air, calling out to me (with a voice that was louder than this side of reality could ever achieve): Be afraid! Be afraid of me! And I complied. Obeyed and followed the instruction. To the point where the fear that the baby, my baby, might conquer and rule my life for ten years like a stern occupying force turned into its opposite. I went so far as to want my baby to rob me of my life. May he do that! Yes! I was able to observe this theft with the greatest attention. I could play along, be my own thief. And with a Lo and behold! (the commonplace of all transformation) the fear vanished, fizzled into nothing, dissolved in a single moment, as if it had never been there. Now our child could be born. (Naturally I was not so audacious as to believe that the fear had vanished once and for all. It would re-arise at some point, unexpectedly, unsuspected, exactly as mysteriously as every new life comes into being. Nor does this mean that I would look forward to the next onslaught of fear; but I do anticipate it with a certain reverence, admiring already its advancing power as if I were already utterly familiar with its mysterious kind of solicitude. – Our child has developed a passion for his strider bike, and within a few days this has grown into an even greater passion for speed. The city is not made for little children. At every corner, danger threatens a small child swiftly rolling along its way. Sometimes our child eludes us, fails to hear our calls, just as he fails to see every car that quickly approaches him from the right or the left, and so, cheerfully calling out words and singing, he steers straightaway into disaster – followed by little moments of terror on our part, bursts of violently racing imagination exploding within us and chasing us in pursuit of our child. This fear, which on the surface appears to be driving us toward right action, melts in our baby’s unknowing gaze, as we seize him by the hood of his jacket, into a sly prelude of all that may still lie ahead of us.)

Das zweite & dritte Jahr 40

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40

Manchmal verwechseln wir das zweite mit dem dritten Jahr unseres Babys. In den verwegensten Momenten unseres Denkens glauben wir sogar, dass das dritte Jahr vor dem zweiten Jahr stattfindet, stattfand, als würde das Ferne das Nahe und das Nahe das Ferne sein. (Bringen unsere Großeltern, Eltern, Tanten, und alle, die uns als Kinder kannten, nicht oft die Zeiten durcheinander, wenn sie über uns sprechen? Bringen wir nicht selber die Zeit in Unordnung, wenn wir uns an dieses oder jenes erinnern, wenn wir glauben, etwas Erinnertes einem bestimmte Jahr, Monat, Tag zuordnen zu können, obwohl uns doch ein Instinkt rät, beim Erinnern, was die Zeit angeht, im Ungefähren zu bleiben, im Flüssigen, in der Wahrheit der Ungenauigkeit?) Wir denken (du denkst es mehr als ich, vielleicht, weil du die Säugende bist, gewesen bist und mir dieser stärkste körperliche Anhaltspunkt fehlt) am Anfang (wenigstens am Anfang) muss unsere Erinnerung doch einer Ordnung und Reihenfolge gehorchen, soviel ist doch noch gar nicht geschehen, dass wir es vergessen könnten, und falls wir es vergessen haben, durch einige Anstrengung leicht wieder am richtigen Punkt auf der kurzen (Baby-)Zeitachse einsetzen könnten. Am Anfang: in diesen ersten zwei, drei Jahren, die sich doch leicht in Entwicklungsschritte und Entwicklungsetappen einordnen lassen, in diesen ersten zwei, drei Jahren, in denen wir besonders aufmerksam sind, was unser Baby angeht (und auch vieles andere), in diesen Jahren, in denen wir jeden Tag mit Freude genießen, so dass es sich anfühlt, als würden wir nichts übersehen, und wenn einer von uns beiden es übersehen hätte, er oder sie es dem anderen berichtete hätte, – wir also mit Sicherheit über diesen Anfang sagen könnten: wir haben diese Babyzeit mitbekommen, wie wir nie eine Zeit mitbekommen haben. Aber mit der Fortschreiten der Zeit wird immer deutlicher, genau dieser Zeit, dieser Anfangszeit habhaft zu werden, das Wesen dieser Zeit zu behalten, dieser Zeit ihre Unvergessbarkeit abzuringen – genau das erweist sich als schier unmöglich. Diese Einsicht erreicht uns heute schon, da kaum das dritte Jahr vergangen ist. Also, halten wir fest, immerhin etwas ist gewiss: das Ausziehen geht dem Anziehen vorher. Das erste Ausziehen unseres Babys, sein Ausziehen, war ein Abschütteln der cremefarbenen Söckchen vom Fuß. Ein halb mutwilliges, halb zufälliges Schütteln eines lästigen Kleidungsstück, das der Beweglichkeit des Babyfußes, wenig entgegensetzen konnte. (Wir selbst, denken wir, sind ja nur deshalb so ordentlich angezogen, weil wir unsere Körper gezähmt haben, weil Kleidung für ihren festen Sitz einen kontrollierten, koordinierten Körper braucht, nicht so einen weichen, biegsamen, strampelnden Babykörper, dessen Energie in alle Richtungen zuckt, das oft nur Energie zu sein scheint, während wir und unser Energie durchaus dem Hochsicherheitsbereich eines Kraftwerks ähneln.) Und jetzt üben wir täglich (seit einem Jahr, seit zwei Jahren, seit Jahrzehnten, Jahrhunderten?) das Anziehen. Sonderbare Wesen, die wir nun einmal sind, müssen wir uns anziehen. Dass wir angezogen sind, ist die Vorraussetzung all unserer Humanität. Nur unser Baby sieht das anders. Das Anziehen kann das lästigste Unterfangen überhaupt sein, eine Zumutung, etwas völlig Sinnloses! Allein die Hand in das Armloch des Anoraks (heute ist es sehr kalt) zu leiten, erweist sich als ähnlich schwierig wie Billard. Die Mütze sitzt grundsätzlich schief auf dem Kopf, oder, wenn sie gerade sitzt, wartet sie nur darauf, im nächsten Moment wieder zu verrutschen. Und Schuhe erst! Einsteigen in Schuhe mit besockten Füßen (auch hier droht Verrutschen), dann einen schon los gelaufenen Fuß fixieren, das Schuhband schnüren und gleich dasselbe auch noch mit dem anderen Fuß – große Aufgaben, die großzügig Stunden verschlingen. Wir üben anziehen. Wir (du, ich) üben anziehen: auch hier wieder lässt sich unser Meister blicken, indem er uns jeden Tag mehrfach zur gleichen Übung nötigt, die all unsere Geduld fordert, die unsere Geduld herausfordert, herausfordert mit und durch die große Ungeduld unseres Babys mit unserem Tun (oder ist diese Babyungeduld seine Geduld?) War es doch Gott selbst, der uns angezogen hat: Und Gott der Herr machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und kleidete sie. So kommen wir uns im Anziehen unseres Sohnes vor, als würden wir es sein, die angezogen werden, als würde sich das erste Anziehen in unserer Familie wiederholen, nicht nur einmal, zehnmal, hundertmal. Als wäre das Anziehen ein Ritual, das wir gemeinsam begehen, das in seiner Alltäglichkeit, Banalität viel stärker ist und religiöser als Rituale, die behaupteterweise der spirituellen Läuterung und deren wiederholter Übung dienen sollen. Dann aber plötzlich ruft unser Baby: selba oder dat kann i selber! Es verweigert sich unserer Hilfe und Mithilfe, ist Alleinanzieher von eigenen Gnaden und durch eigene Bestimmung. Und wir versuchen uns in der kurzen Distanz des zweiten und dritten Jahres zu erinnern, wann und wie Selbständigkeit und Unselbständigkeit unseres Babys aufeinander folgten, jetzt scheint es uns, dass beide stets gleichzeitig da sind, auch wenn unser Baby immer wieder den Eindruck (für uns) erweckt, gerade hätten wir es mehr mit seiner Selbständigkeit oder dann wieder mehr mit seiner Unselbständigkeit zu tun. – Am Abend erinnere ich mich an das empörte Wegpfeffern der blauen Mütze auf einem gemeinsamen Spaziergang, ohne meine Erinnerung damit zu belasten, wann genau das gewesen sein soll. Es fällt mir leicht, da ich mich ganz auf die von der kleinen Hand vom Kopf gerissenen Mütze konzentriere, die in erstaunlich weitem Bogen in den Rinnstein fliegt. Dann folgen ich deinem Vorschlag (den du von einer schlauen Frau übernommen hast), doch einmal zu versuchen, sich gegenseitig anzuziehen. Du ziehst mich an und ich dich. Wir machen erstaunliche Erfahrungen, die wir ganz für uns behalten.

Sometimes we confuse our baby’s second year with his third. At the most audacious moments of our thinking we even believe that the third year takes place, took place, before the second year, as though what is distant were nearby and what is nearby were distant. (Don’t our grandparents, parents, aunts, and all who knew us as children often get different times mixed up when they’re talking about us? Don’t we ourselves bring time into disarray when we recall this or that, when we think we can assign something we remember to a certain year, month, or day, even though an instinct suggests we would do well to content ourselves with approximation, to rest in fluidity, in the truth of imprecision?) We think (you think this more than I do, perhaps because you were the one who gave suck and I lack this most powerful bodily reference) that in the beginning (at least in the beginning) our memory must obey an order and a sequence; after all, not much has happened yet that we might forget, or that, if we forgot it, we could not with some effort re-insert at its proper place in the short baby-timeline. In the beginning: in these first two or three years, so easily arranged as a sequence of developmental steps, developmental stages; in these first two or three years in which we are especially attentive to everything that concerns our baby (and many other things as well), in these years in which we savor each day with pleasure, so that it feels as if we don’t overlook anything, and if either one of us were to overlook something, he or she would have reported it to the other; where, in short, we could say with assurance about this beginning: we experienced this baby time in way that we have never experienced any other time. But as time advances, it is becoming more and more obvious that to get a precise grasp of this time, this time of beginning, to keep hold of the essence of this time, to wrest from this time its unforgettableness – precisely that turns out to be utterly impossible. This insight reaches us already now that the third year has scarcely transpired. However, we note, there is at least one thing of which we can say it is certain: Undressing precedes dressing. The first undressing of our baby, his undressing, consisted of shaking his cream-colored socks off his feet. A half willful, half accidental shaking off of a bothersome piece of clothing that could offer little resistance to the mobility of a baby’s foot. (We ourselves, we think, are only dressed in such an orderly fashion because we have tamed our bodies, because in order for clothing to fit at all firmly, a controlled, coordinated body is needed, not a soft, pliable, kicking little baby’s body whose energy darts in all directions, and which often only appears to be energy, while we and our energy bear definite similarity to the high-security area of a power station.) And now, every day (for the past year, for the past two years, for decades, centuries?) we are practicing getting dressed. Odd creatures that we are, we have to get dressed. Being dressed is the precondition of all our humanity. Except our baby sees this differently. Getting dressed can be the most annoying venture imaginable, an unreasonable, perfectly senseless imposition! Just putting a hand into the sleeve of a parka turns out to be about as challenging as billiards. The cap’s position on the head is, as if on principle, categorically skewed; or if it happens to be in place, it just waits to slip off the next moment. Not to mention shoes! Putting his stocking-clad feet into shoes (here too there’s a tendency to slip away from his aim), then holding that foot in place while it’s in mid-motion in order to tie the shoelace, and following that with the other foot – major tasks that generously swallow up hours. We practice the business of dressing. We (you, I) practice dressing: here again we can see our Master at work, obliging us day after day to perform the same exercise that demands all our patience, challenges our patience, challenges it with and through our baby’s great impatience with our activities (or is this baby-impatience his patience?) It was God Himself, after all, who dressed us : Also for Adam and his wife, God made tunics of skin, and clothed them. That is how we appear to ourselves while clothing our son, as if it were ourselves who are being dressed, as though the first dressing were being repeated in our family, not just once, but ten times, a hundred times. As though dressing were a ritual we perform together, and that is stronger and more religious in its ordinariness and banality than repeatedly practiced rituals that are supposed to conduce to the soul’s purification. But then suddenly our baby cries out: self or do it myself! He rejects our help, our assistance, is a solitary self-dresser by his own grace and his own dispensation. And we try to remember, in the brief space of the second and third year, when and how autonomy and dependence succeeded each other in our baby; it seems to us now that they are both always there at the same time, even though, again and again, our baby creates the impression (in us) that right now we are dealing more with his autonomy, and then that, on the contrary, his dependence is what’s in the foreground. – In the evening I remember his indignant tossing away of the blue cap on a walk we took together, without burdening my memory with the question of when precisely that was supposed to have happened. It’s easy for me, as I focus entirely on the cap torn by the little hand from his head, and the surprisingly ample arc of its flight before it lands in the gutter. Then I follow your suggestion (which you adopted from a clever woman) to try dressing each other. You dress me and I dress you.  This leads us both to extraordinary realizations, which we keep entirely to ourselves.

DAS ZWEITE JAHR – 39

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In Babydingen brauchen wir keinen Rat. Doch – nur ganz selten, in den wenigen Augenblicken, in denen wir Ratlosigkeit verspüren, vollkommene Ratlosigkeit, in Augenblicken, in denen unser Baby uns vorkommt, wie nichts und niemand, das und der uns bekannt wären, in Augenblicken, in denen unser Begreifen schlagartig erblindet und ertaubt, in Augenblicken, in denen unsere Unwissenheit so vollkommen ist wie die Ratlosigkeit. Es hängt vermutlich damit zusammen, dass unser Baby dann Selbst ist, unabhängig von uns, ein Anderer, gar nicht unser Baby, dass es sich all unseren möglichen und gewünschten, erhofften, ersehnten Zugriffen entzieht, entzogen ist, durch eine anonyme Macht, die sich gleichsam zwischen uns wirft, uns trennt. Dann geht uns mit einem unhörbaren Donner unser Meister verloren. Eine kleine Szene, die uns nicht ausschließt, in wir aber nicht hineingehören, keine Rolle spielen, nicht einmal als Zuschauer. So steht unser Baby auf seinem gestuften Stuhl und gießt aus unserem großen Glas Wasser in seinen blauen kleinen Becher, immer weiter gießt es, bis das Wasser überfließt, auf den Tisch und weiter auf den Boden hinuntertropft. Wir sehen, was es tut und sehen es doch nicht. Die Klarheit seines Handelns, die Intensität, mit der es selbst sein Schütten betrachtet, die Ruhe, die kein Überfließen stören kann, die Entschiedenheit, mit der bis zum letzten Tropfen vom großen Glas in den kleinen Becher umgefüllt wird, die stille Freude über das die Ränder seines Bechers übersteigende Wasser, die Lust an der schieren Unendlichkeit dieses Schüttens und Überfließens (so scheint der Vorrat an Wasser, die Quelle im großen Glas unerschöpflich in diesem ewigen Moment, der in Wirklichkeit vielleicht zehn, fünfzehn Sekunden dauert – welchem Eindruck sollen wir glauben?) – in all dem ist das Baby so innig mit sich und seinem Tun, dass für uns nicht einmal die Rolle der Außenstehenden überbleibt: wir sind verschwunden. Verschwunden die Verbindung zu unserem Kind, so sehr verschwunden, dass sie sich uns in ihrer bitteren Wahrheit zeigt: als Illusion. Unser Kind ist ein Stillleben, das nicht still hält. Oder doch: es selbst hält still, erstaunlich still, unzittrig steht es auf seinem Stuhl, während das Wasser vom Glas in den Becher fließt. So ein Stillleben ist unser Baby, dass es Bewegung in ein unbewegtes Bild zaubert. Auch das ein Grund, warum wir verschwunden sind. Möglicherweise so verschwunden, wie wir verschwunden waren, als unser Baby noch nicht geboren war, nicht gezeugt, kaum gedacht, gewünscht, ersehnt. Dann jedoch spüren wir genau darin, in unserem Verschwinden, jetzt in diesem aktuellen Verschwinden eine große Erleichterung: unser Baby verantwortet sich selbst. Alles hat auch eine praktische Seite. Wir könnten sagen, es wäre besser, wenn du deine Wasserspiele im Bad machen würdest, dort könntest du soviel gießen wie du willst, noch besser wäre es, wir würden nach draußen gehen, aber draußen ist es jetzt zu kalt, und die Wasserpumpe auf dem Spielplatz ist schon für den Winter abgestellt. Natürlich werden wir die Pfütze unter dem Tisch aufwischen und auch die Sauerei auf dem Tisch, die aufgeweichte Scheibe Brot und das angeklebte Kuvert in den Müll werfen, denn du, unser Baby, wirst ganz plötzlich dein Stillleben verlassen und ins Wohnzimmer trippeln. Unser Baby verantwortet sich selbst. Und sein Stillleben wäre nicht sein Stillleben, wenn wir es woanders hin verlegen würden. Außerdem, unser Wunsch die Wasserspiele am Küchentisch an einen anderen, wassersicheren Ort zu verlegen, soll er nicht nur ablenken von dieser unglaublichen Autonomie unseres Babys, durch die wir seine Meisterschaft verlieren? Was? Gewinnen wir sie nicht erst dadurch, immer wieder, immer wieder aufs Neue? (Niemand sonst als ein kleines Kind kann uns so sehr glauben lassen an unsere notwendige Anwesenheit, an unsere Unabdingbarkeit, an unsere Zuständigkeit.) Jetzt ist es Zeit, sich Rat zu holen denken wir, wen könnten wir fragen, wer könnte entscheiden, was wichtiger ist für uns, die tiefe Verbundenheit unseres Babys mit uns oder ihr lautlos donnerndes Verschwinden? Zum Beispiel bei E.M. Cioran in der Charakterisierung eines berühmten Dichters: Ich halte ihn für ebenso willensstark wie fanatisch. Selbst wenn die Welt zusammenstürzte, würde er weder die angefangene Arbeit abbrechen noch das Thema wechseln. In den wesentlichen Dingen ist er sicher unbeeinflußbar. Was das übrige, das Unwesentliche betrifft, so ist er wehrlos, vermutlich schwächer als wir andere … Mit und in unserem einseitigen Blick (oh, ja, wir lieben seine Einseitigkeit!) gelten diese Worte mehr noch als Beckett unserem Baby. Jetzt haben wir unseren Rat gefunden. Nicht als Alibi für eigene Trägheit, gedankliche Schwäche, nicht aus Hilflosigkeit, die eine Autorität anruft, sondern aus Gründen des richtigen Ausdrucks. Manchmal fehlen uns einfach die passenden Worte und wir müssen suchen, wo wir sie uns ausleihen können. Unsere Ratlosgkeit ist vielleicht nur eine sprachliche Schwäche, unser Empfinden ist deutlich, unser Möglichkeiten es auszudrücken aber sind wie von ihm verschluckt. Es ist geradezu so (und das könnten die besten Momente sein), dass unser Baby uns hin und wieder unsere Sprache raubt, bis auf den letzten Buchstaben. Wir sind also gar nicht ratlos, sondern nur sprachlos. Am ratlosesten sind wir, wenn unser Baby verschwunden ist, obwohl es in unserer Nähe steht. Und wir interpretieren unsere Sprachlosigkeit als Ratlosigkeit. So sind wir: oft wissen wir nicht, was was ist. (Nein, wir holen uns keinen Rat. Wir holen einen Wischlappen und machen sauber.)

In baby matters we need no advice. But actually – we do, very rarely, in the few moments when we feel perplexed, completely perplexed, at moments when our baby seems like nothing and no one known to us, moments when our comprehension is all of a sudden struck blind and deaf, moments when our ignorance is as perfect as our perplexity. Presumably it has to do with the fact that our baby is then Himself, independently of us, an Other, not at all our baby; that something is withholding him from our possible and wished-for, hoped-for, longed-for reach, an anonymous, separating power that seems to thrust itself between him and us. Then it seems that quietly, amidst inaudible thunder, we are losing our master. A little scene that does not exclude us, but where we do not belong, where we have no role to play, not even as an audience. There is our baby, standing on his striped chair, pouring water from our large glass into his little blue cup, pouring continually until the water runs over onto the table and then drips onto the floor. We see what he is doing and yet we don’t see it. The clarity of his actions, the intensity with which he observes his own pouring, the calm that cannot be disturbed by the overflowing, the decisiveness with which the water is decanted from the big glass to the little cup, the quiet joy at the sight of the water rising over his cup’s edge, his delight in the sheer infinity of this pouring and overflowing (and indeed the supply of water, the wellspring in the large glass seems inexhaustible at this eternal moment, which in reality lasts ten, maybe fifteen seconds – to which of these impressions should we lend credence?) – throughout this occurrence, the baby is so intimately alone with himself and his activity that not even the role of bystanders is left to us: we are gone. So is our connection with our child; it has disappeared so thoroughly that it reveals itself to us in its bitter truth: as an illusion. Our child is a still life that does not hold still. Or actually it does; he himself holds still, astonishingly still, he is standing on his chair, not a quiver in his body, while the water flows into the cup. Our baby is such a still life that he conjures movement into a motionless picture. And that is another reason why we are gone. Possibly just as gone as we were when our baby was not yet born, not conceived, scarcely imagined, hoped-for, longed-for. But then, precisely in this, our disappearance, in this present disappearance, we sense a great relief: our baby is taking charge of himself. Everything has a practical side. We could say, it would be better if you would play your water games in the bathtub, there you could pour as much as you want, and it would be even better if we went outside now, except it’s too cold outside, and the pump on the playground has already been turned off for the winter. Of course we will wipe the puddle on the floor and the mess on the table, throw the soaked slice of bread and the stained envelope into the trashcan, because you, our baby, will suddenly leave your still life and trundle off into the living room. Our baby is in charge of himself. And his still life would not be his still life if we moved it to another location. Besides, our desire to relocate the water games to another, more waterproof place, isn’t its real purpose to distract us from our baby’s unbelievable autonomy, through which we are losing his mastery? What? Aren’t we in fact winning it anew, again and again, in precisely this way? (No one can can convince us of our necessary presence, our indispensability, our responsibility, the way a small child can.) Now it is time to seek advice, we think, whom could we ask, who could decide what is more important for us, our baby’s deep connection with us or his soundlessly thundering disappearance? For example in E. M. Cioran’s characterization of a famous poet: I consider him strong-willed and fanatical in equal measure. Even if the world were to collapse, he would neither interrupt the work he has begun or change the subject. I have no doubt that in essential matters it is not possible to deter him. As for all the other, inessential matters, he is helpless and presumably weaker than the rest of us . . . With and in our one-sided view (oh, yes, we love its one-sidedness!), these words apply to our baby even more than they apply to Beckett. Now we have found our advice. Not as an alibi for our own inertia or mental weakness, not out of helplessness that needs to consult an authority, but for reasons of right expression. Sometimes we simply lack fitting words and we have to look around for someone to borrow from. Our perplexity may just be a linguistic weakness, our feeling is clear, but our means of expression are, as it were, swallowed up in the feeling. It’s virtually (and these can be the best moments) as if our baby occasionally robs us of our language, down to the last letter. So it’s not perplexity – we’re just speechless. We are most speechless when our baby has disappeared even though he is standing right near us. And we interpret our speechlessness as perplexity. This is how we are: we often don’t know what is what. (No, we don’t ask anyone’s advice. We get a mop and clean up.)