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Kommen wir mit den anderen Kindern zusammen, beginnen wir zu vergleichen. Das Vergleichen ist uns gegeben, das Nichtvergleichen müssen wir uns mühsam erarbeiten. Wir vergleichen automatisch, fast könnten wir glauben, es sei uns angeboren. Es geschieht gleichsam ohne Gedanken (vielleicht ist es ein Zeichen von Gedankenlosigkeit?), es geschieht von selbst, plötzlich, kündigt sich nicht an und will mit seinem Urteil alles erfassen. Das Richtige. Das Beste. Das Angemessene. Das Altersgemäße, der Entwicklung unseres Kindes entsprechende – eigentlich das Normale. Wir fürchten, etwas könnte nicht normal sein, hören überall Geschichten von Kindern, die sich nicht normal verhalten, Kindergartengeschichten und Schulgeschichten. Normal ist ein Kind, wenn es tut, was wir glauben, dass es in diesem Alter tun sollte. Ein bißchen Abweichung ist erlaubt, aber alles, was über das bißchen hinaus geht, macht Sorgen. Wir können uns ermahnen, jeder Abweichung gegenüber uns freundlicher zu verhalten (was uns auch nicht schwer fällt, die Liebe zu unserem Kind macht unsere Duldsamkeit von Anfang höchst dehnbar), wie wir uns selbst davon überzeugen können (wir sind einigermaßen bewandert in pädagogischen Konzepten), dass alles seine Zeit hat, alles seinen Raum braucht, sich alles fügen wird, dass wir auf keinen Fall Grund haben, besorgt zu sein, uns Gedanken zu machen, gar durchzudrehen. Aber so sehr wir unseren Argumenten glauben schenken wollen, sowenig können wir es. Denn wir sind besorgt, machen uns immer Gedanken, und wir könnten leicht durchdrehen (nur ein Schritt ist es bis dorthin, dass wir ihn nicht gehen, hängt vielleicht damit zusammen, dass unsere Furchtlosigkeit doch größer ist als unsere -kümmerliche – Furcht). Nein, unser Baby gibt uns wenig Anlass, an seiner babygemäßen Entwicklung zu zweifeln. Es ist nicht der schnellste Läufer, was überhaupt nichts macht. Es rennt nicht besonders gern, es steht lieber oder geht gemächlich von der Schaukelmöwe zum Schaukelpinguin. Steigt langsam hinauf und wippt dann mal heftiger, mal weniger heftig, steigt wieder herab, steht und schaut, schaut auch auf die rennenden Kinder, zum Teil jünger als es selbst, die einer Art inneren Explosion zu gehorchen scheinen, die sie in den Hochgeschwindigkeitsmodus schießt. Diesen Modus kennt unser Baby nicht, interessiert sich nicht für ihn, sein Rennen ist ein gemächlicher Trab, mit kaum in den Schultern schwingenden Armen und kleinen Schritten. Das macht nichts, sagen wir uns und offenbaren uns dann doch diese gemeinsame Heimlichkeit, in der wir denken: unser Baby könnte doch richtig rennen, warum rennt es nicht wie die anderen (die anderen, die auch nicht rennen, bemerken wir gar nicht, wollen wir gar nicht bemerken), jedes Kind trägt doch diesen Impuls zu rennen in sich, in seinen Beinen, in dem für seinen unendlichen, grenzenlosen Geist (seinen explosiven Geist) viel zu kleinen Körper, der seltsamerweise dennoch der gleichen Schwerkraft unterworfen ist wie wir (manchmal auf unserem Arm, gibt unser Baby sein gesamtes Gewicht an uns ab und ist verblüfft, wenn es uns irgendwann zu schwer wird und wir es wieder absetzen wollen; gerne hätte es sich weiter von uns in der Illusion wiegen lassen, es könnte schweben). Nein, wir wollen nicht, dass unser Babykind rennt wie alle anderen; doch, wir wollen, dass unser Babykind rennt wie alle anderen. Wir wollen es, das ist tief in uns verwurzelt, etwas für jemand anderen zu wollen (unser Leben scheint immer ein bißchen absurd zu sein), wir sehen an den Anderen etwas, das anders, besser, richtiger, normaler sein könnte und wollen es durch ein Eingreifen verändern. Die Autonomie des Anderen respektieren wir zwar, wollen sie aber nicht wahrhaben (vielleicht spüren wir in diesem Zwiespalt die Ungetrenntheit aller Lebewesen und unsere mal sanfte, mal heftige Verzweiflung, nur eines, ein einziges von diesen selbst zu sein). (Du kannst die Ungetrenntheit auch erkennen, die Verzweiflung nicht. Dein Gebären lässt dich gütiger über das Leben denken) Sind wir nicht Märchengestalten? (Wir beide, du, ich, sogar unser Baby? Die manchmal gemeinsam und manchmal getrennt in ihrer Geschichte auftreten?) Die Brüder Grimm, Das eigensinnige Kind: Es war einmal ein Kind eigensinnig und tat nicht, was seine Mutter haben wollte. Darum hatte der liebe Gott kein Wohlgefallen an ihm und ließ es krank werden, und kein Arzt konnte ihm helfen, und in kurzem lag es auf dem Totenbettchen. Als es nun ins Grab versenkt und die Erde über es hingedeckt war, so kam auf einmal sein Ärmchen wieder hervor und reichte in dei Höhe, und wenn sie es hineinlegten und frische Erde darüber taten, so half das nicht, und das Ärmchen kaum immer wieder heraus. Da mußte die Mutter selbst zum Grabe gehen und mit der Rute aufs Ärmchen schlagen, und wie sie das getan hatte, zog es sich hinein, und das Kind hatte nun erst Ruhe unter der Erde.
As soon as we meet with the other children, we start comparing. Comparing comes naturally to us, not comparing is a skill we have to laboriously acquire. We compare automatically, it almost seems to be an innate faculty. It happens virtually without any thoughts (perhaps it’s a sign of thoughtlessness?), it happens of its own accord, suddenly, unannounced, and seeks to encompass everything with its judgment. The right thing. The best thing. The proper thing. The age-appropriate thing – basically the normal thing. We are afraid that something might not be normal; all around us we hear stories about children who don’t behave normally, in kindergarten or in school. A child is normal when it does what we think it should be doing at its age. Some slight deviation is allowed, but anything that goes beyond that slight difference is cause for alarm. We can admonish ourselves to be more accepting of every deviation from the norm (which is not hard for us, our love for our child makes our forbearance highly elastic from the beginning), just as we can rest assured (being reasonably well versed in pedagogic concepts) that everything happens in its own time and needs its own space, that everything will come together, that there is absolutely no reason for us to be concerned, to worry, let alone freak out. But however much we would like to believe our arguments, we are not able to do that. For we are worried, are always concerned, and we could easily freak out (it’s just a step away, and that we don’t take that step may be due to the fact that our fearlessness happens to be greater than our – pitiful – fear). No, our baby gives us little reason to doubt that his development might not be baby-appropriate. He is not the fastest runner, which doesn’t matter one bit. He’s not particularly fond of running, he prefers to stand or walks at a leisurely pace from the sea-gull rocker to the penguin rocker. Climbs it slowly, rocks himself back and forth, sometimes slightly, sometimes with greater force, climbs back down, stands, looks around, looks at the running children as well, some of them younger than himself, who seem to be obeying an inner explosion that is shooting them into high velocity mode. Our baby does not know this mode, is not interested in it, his running takes place at a leisurely trot that barely sets his arms swinging in his shoulders, and with small steps. It doesn’t matter, we tell ourselves, while nonetheless revealing to ourselves the secret thought we hold in common: surely our baby could actually run, why doesn’t he run like the others (and the others who also don’t run we prefer not to notice); surely every child bears within it this impulse to run on its legs, in its body, which is much too small for its infinite, boundless spirit (its explosive spirit), this body that is strangely subject to the same gravity as we are (sometimes, while being held in our arms, our baby gives over to us his entire weight, and is surprised when at some point he gets too heavy for us and we want to put him back down; he would really prefer to continue being held suspended in the illusion that he can float). No, we don’t want our baby child to run like all the others; yes, we do want our baby child to run like all the others. We want it, it is deeply rooted within us to want something for some else (our life always seems to be somewhat absurd), we see in the others something that could be different, better, more correct, more normal, and we want to change it by some intervention. We may respect the other’s autonomy, but we don’t want to acknowledge it (maybe in this dichotomy we sense the undividedness of all creatures and our sometimes gentle, sometimes intense despair at being only one, a single one of the countless many). (You can see the undividedness too, but not the despair. Your birth-giving nature allows you to think more kindly about life.) Are we not fairytale creatures? (the two of us, you, I, even our baby? Who sometimes appear in their story together and sometimes separately?) The Brothers Grimm, The Obstinate Child: There once was an obstinate child who did not do what its mother wanted. Therefore God had no goodwill towards it, and no doctor could help it, and it was not long before it lay on its little death bed. And after it was buried in the grave and was covered with a blanket of earth, suddenly its little arm pushed out from the earth, reaching up, and when they put the little arm back down and covered it with earth, it came out again and kept coming out like that, over and over. Then the mother herself had to go to the grave and struck the little arm down with a stick, and only after she had done that was the child finally peaceful under the earth.