DAS ZWEITE JAHR – 17

17

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Vater sein bedeutet dann auch, sich plötzlich inmitten von Frauen wiederfinden. (Plötzlich: denn zuerst fällt es nicht auf. Unter Frauen sein ist: sich wie in einem natürlichen Zustand zu fühlen. Dieser Umstand macht sich nicht selbst zum Thema. Kein Nachdenken darüber. Vielleicht täuscht auch ein weiterer einzelner Mann, der mit Kind auf dem Spielplatz auftaucht, darüber hinweg.) Inmitten von Frauen. (Ein Nachbar beschreibt mir sein Unwohlsein, wenn er mit seiner Tochter unterwegs war, immer und überall Frauen, sagt er, und diese Frauengespräche und wie schräg sie mich ansahen, als hätte ich hier nichts zu suchen … Er schüttelt den Kopf, wie befreit, da seine Tochter jetzt längst die Schule besucht und er sie nicht weiter auf den Spielplatz begleiten muss. Von was genau fühlt er sich befreit, frage ich mich und schüttle selbst den Kopf). Frauen: die Gesellschaft beginnt weiblich. (Und die Emanzipation der Männer hat noch nicht begonnen. Sie mag keimen, aber es ist bekannt, wie empfindlich Keime sind. Ein Gedanke wird gefasst, zwei Sekunden später ist er verschwunden. Solange sich kein Nährboden findet, wird er selbst, wenn er wiederkehrt, wieder gleich verschwinden. Die Emanzipation der Frauen findet beifälliges Nicken, Unterstützung, ehrliches Gutheißen unter vielen Männern. Ihre eigene Emanzipation scheint sich darin zu erschöpfen. Ich glaube, dass die Emanzipation der Männer in der Zugewandtheit zu ihren Kindern ihren Beginn finden muss. Denn sie leitet die Männer dorthin, wo sie sich sich selbst zuwenden. Viele Männer sind abgewandt von sich, man könnte es beklagen. Ihre Zugewandtheit erschöpft sich im Dienen und Denken. Betrachte ich die Tatkraft der Frauen, scheint mir das Tun der Männer oft schal: der Glaube an die eigene bedeutende Männlichkeit lässt sie sich im Äußeren verlieren. Als wäre es das Einzige, das gestaltet werden könnte. Das Innere wird durchaus eingeräumt, aber Mann windet sich.) Unser Baby ist ein kleiner Mann. Mann unter Frauen, wie all die anderen Jungs. So fängt das Leben als Mann an: unter Frauen. (Gar nicht einfach, einen Mann zu entdecken, mit dem sich darüber reden lässt. Darüber zu reden, ist nicht nur kein männlicher Wunsch, mehr noch gibt es eine männliche Scheu, Bereiche zu besprechen, die irgendwie in feste Frauenhände zu gehören scheinen oder sich dort ungreifbar für einen Mann befinden. Wenn Frauen selbstverständlich unter sich über Frauen reden, reden Männer selbstverständlich unter sich nicht über Männer. Dort, wo die Babys sich aufhalten, dort ist augenfällig, wie es um Frauen und Männer steht. Offengestanden, auch mich befällt die Scheu über uns Männer zu reden, sage ich zu unserem Baby, wo mag diese Scheu nur ihren Ursprung haben? In einer Berührung, einer unerlaubten, womöglich? Gibt es ein männliches Heiligtum?) (Gestern mit unserem Baby am kleinen Badesee mit dem von einer riesigen Pappel beschatteten Sandstrand, mit flachem Ufer, ein paar Mütter mit ihren Kindern, wenige, kein Mann. Keine Männer, außer uns beiden. Schon wieder haben wir es vergessen. Die Frauen sind ohne Argwohn gegen uns, freigiebig, wir dürfen jede Schaufel, jeden Eimer, jeden Ball einfach nehmen, wir bekommen ein Keks, die Frauen sind müßig, bewegen sich weich, langsam steigen sie das kleine Gefälle zu ihren Decken, zu ihrem Platz hinauf, um gleich wieder in die andere Richtung zu laufen, zu ihren Kindern, die, mit den Füßen darin, noch an die Unschuld des Wassers glauben. Es fühlt sich mild an unter Frauen, angstfrei. Die Blicke sind sich wohlgesonnen, das Interesse ist lose, schwebend, nah, fern, wie der unvermittelte Anflug einer Schwebfliege und ihr blitzartiges Davonkreuzen. Friedlich ist die Stimmung und die Stimmen der Frauen sind es auch: nicht zu laut sind die Gespräche, die jederzeit unterbrochen und jederzeit wieder aufgenommen werden. Die Kinder fallen mit Rufen, Quietschen, Jauchzen in die Gespräche ein, die dehnbar sind und so eigenartig beschaffen, dass sie sich augenblicklich wieder zu straffen vermögen. Unter Frauen: wir vergessen es ein ums andere Mal. Die Frauen lassen uns vergessen, dass wir Männer sind, aber nicht, dass sie Frauen sind. Unter Müttern, scheinen sie zu sagen, sei willkommen, du Mannmutter mit Kind.) Manchmal erscheint auf der Bühne ein Großvater mit Kind, mit Baby. Tatsächlich eine Erscheinung, etwas Zukünftiges scheint im Alten auf. Im Großvater gibt es die Blitzemanzipation des Mannes, stolpernd, ein bißchen ungelenk ist der Mann, den sie hervorbringt, ein anderer, selbst überrascht von seiner neuen Rolle und seinen neuen Möglichkeiten. Die Zugewandtheit zum Enkelkind überrumpelt ihn, durch den Generationensprung tritt mit einem Schlag der andere Mann hervor, ungebrochen, ungehemmt durch die direkte Elternschaft. Es bereitet mir Vergnügen, ihn Muttermann zu nennen. (Mann beklaut die Frau. Die Mutter ist nicht ihr Privileg. Hat nicht unser Baby nun tagelang auch mich mit Ma angerufen, als würde es sich dem Diktat der von uns gelebten – und geglaubten – Dualität einfach auf diese Weise entziehen. Ich habe es mir gefallen lassen, als Ma, Mama bezeichnen zu werden, ist die anfängliche Irritation des Gewohnten erst einmal gebrochen, kann man auch wieder getrost zu eben diesem zurückkehren. Viel verdankt sich dem angeborenen Humor des Babys, Regeln, besonders sprachliche, zu brechen, ohne dass dieser Bruch eine einzige Scherbe hinterlässt. Mama und Papa: ein Rufspiel, kaum zu überschätzen, kaum zu unterschätzen. (Am Samstag treten die Männer dann zahlreich auf. Beschuldigen wir sie zu Unrecht, wenn wir behaupten, die Entspanntheit der Wochentage ist mit ihrem Auftreten verschwunden? Jetzt nehmen die guten Väter die Sache, das Kind in Angriff, mit viel Schwung und Einsatz. Gute Väter wollen sie sein, oh, ja, sie sind gut, wer dürfte es ihnen absprechen? Nein, nur die Verwunderung wollen wir nicht zurückhalten, dass an den Orten, wo die Kinder sich befinden, die Väter, Männer nur für Momente so zahlreich auftreten, um dort einen Raum einzunehmen, der sich aber durch einen kurzen Auftritt nicht füllen lässt. Fehlt das Gleichgewicht der Eltern zu ihren Kindern, wird jede Rolle undeutlich. Die Mutter wird zu groß, der Vater zu klein. Was die Mutter verkleinert, wie den Vater vergrößert. Nein, wir jammern nicht darüber. Doch ein bißchen. Wir haben einfach Lust, die Möglichkeiten des Mannes in der Welt auszukundschaften, also wollen wir uns mit einem Mann darüber unterhalten. Mein Sohn, der kleine Mann, geduldig hört er zu. Mach dir keine Gedanken um die anderen, sagt er, ich mach mir nie Gedanken um die anderen. Oder er sagt: doch mach dir ruhig Gedanken um die anderen. Schwer ist es, sage ich, den Mann zu fassen. Wen willst du fassen? sagt mein Sohn und will, dass ich ihn auf die Schwanenwippe hebe.) Unter Frauen wird das Leben des Mannes lau (heute auf dem Spielplatz hinter der Kirche, nachdem wir Butterbreze gegessen haben und er, der kleine Mann zum Wasserpilz losgezogen ist, erinnere ich mich an einen Bekannten, der einmal davon sprach, wie demütigend er es manchmal empfunden hat, einen Kinderwagen vor sich her zu schieben. Es bringt mich auf die Idee, dass besonders das kleine Kind, das Baby neben dem Stolz sein Miterzeuger zu sein, wenn es um die tägliche Fürsorge geht, durchaus Scham und Scheu im Mann hervorruft, deren beider Ursprung irgendwie in der grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit eines Prinzips liegen könnte. Um sich aufrechtzuerhalten, muss das Prinzip Mann sich offenbar ein wenig Gewalt antun und schon immer angetan haben. Als würden mit der Aufweichung des Prinzips ihre Träger gleichsam selbst aufweichen, verschwinden, zumindest vom Verschwinden bedroht sein. Einige Männer aber widersprechen dieser Idee sogleich, die Männer, die wie Mütter wickeln, nähren, sorgen. Wieder: es ist eher so, dass diese Männer ihre Männlichkeit erst habhaft werden durch dieses Tun, weil sie sich dadurch weniger ihrem Prinzip, das sie zu sein scheinen, ausliefern. Überhaupt einen Schritt aus ihrem Prinzip herauswagen.) Unter Frauen wird das Leben des Mannes reich (Ein paar Kinder sind da mit ihren Erzieherinnen aus der Kita. Zwei einzelne Frauen mit Kind, Baby. Ich, mein Sohn. Er beginnt sogleich mit seiner Emanzipation von mir. Rennt wackelnd davon – wie er so von hinten über den Sand läuft, sieht es aus, als wäre er eine Marionette, die von einem nicht sehr geübten Spieler bewegt wird. Manchmal schwebt er, dann wieder ist seine Bodenhaftung schwer und drückend. Der linke Arm, der rechte Arm, beide sind auf unterschiedliche Art am Körper festgemacht. Sie können sich überall hin drehen und biegen. Der Kopf ist eine Kanonenkugel, so groß und überdeutlich zeichnet er sich vor dem Laub der Büsche, auf die unser Baby zurennt, ab, dass man glauben könnte, er sei gar nicht gemacht für diesen kleinen Körper. Dieser Kopf – auch von dem zu kleinen Körper, der ihn zu tragen hat, wird er sich emanzipieren. Fast hätte wir es wieder einmal übersehen: unser Baby ist auch Meister der Emanzipation. Unbeirrbar darin. Unnachgiebig. Lustvoll ziellos suchend. Er wird den Mann, der er ist, finden.) Als Vater gerät man unter Frauen, ganz anders als zuvor erlebt, gewohnt, geübt. Ein hübscher Nährboden ist das. Eine Blumenwiese. Pflücken ausdrücklich erlaubt.

Das zweite Jahr – 16

16

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Schau mal! Ein tausendfacher elterlicher Weckruf, der Tag für Tag über den Babys und den Schonnichtmehrbabys dröhnt, schmeichelt, zwitschert, sich ihnen andient, sie beeinflussen und lenken möchte, ihnen ein Angebot unterbreitet, für sie die Welt aufreißen will, wie ihre kleinen Augen öffnen, weiten, diese unbedarften Augen, die die Welt betrachten sollen, unbedingt. Schau mal! Der Ausruf ist gut gemeint, Folge eines unschuldigen Impulses. Wir sind schon da, schon lange da, denken die Eltern (und Tanten und Onkels, Großeltern und auch schon die Geschwister, überhaupt alle Großen denken es), wir kennen die Welt und erkennen sie schnell (den Vogel dort, das Eichhörnchen, den im Wind schaukelnden Ast), schneller als unser Baby die Welt erkennen kann, also rufen wir es ihm zu und deuten mit dem Zeigefinger (der ganzen Hand, dem Kopf, dem Blick) dorthin, wo es etwas zu sehen gibt (und natürlich niemals dorthin, wo es nichts zu sehen gibt. Oh ihr Babys, manchmal schaut ihr einfach dorthin, wo es nichts zu sehen gibt! Warum tut ihr das?). Voller Freude über die eigene Erkenntnis, das eigene Wissen, ja, erst jetzt, in diesem Augenblick des deutenden Rufens, wird das eigene Wissen bewusst, das so gerne an die Kinder weitergereicht werden will. Das große eigene Wissen, das dem unwissenden kleinen Wesen, das unser Kind ist, nahegebracht wird, durchaus mit einer gewissen Eile und dem Wunsch, es möge nichts verpassen (keinen Vogel verpassen, kein Eichhörnchen, keinen im Wind schaukelnden Ast). (Schau mal! Auch aus unserem Mund huscht dieser Ruf, schneller, als wir denken können, noch vor dem ersten Gedanken ist er entwischt. Rufen wir etwa nach dem Absoluten? Geht es uns gar nicht um den Vogel, das Eichhörnchen, den im Wind schaukelnden Ast? Wollen wir unserem Baby nicht Alles zeigen? Das Ganze? Das große Ganze? Das uns längst – wir merken es, während unser Ruf sein vielstimmiges Echo findet, das wie ein Bienenschwarm, der sich gerade gesammelt hat, über dem Spielplatz die schwankende Wolke tanzt; schau mal! – abhanden gekommen ist. Es ist eine sonderbare Verdrehung, die wir mit unserem Ruf vornehmen, sonderbar, denn wir machen sie ohne Vorsatz, sie geschieht uns, als wäre sie, nein, nicht unser Schicksal, aber fast. Wir wollen dem Baby das Schauen beibringen? Aber das können sie doch am besten, die Babys, schauen, von Anfang an schauen sie, wie wir nicht schauen können, fast wollen wir sagen: wie wir noch nie schauen konnten. Nicht das erste Mal denken wir, zwei Wesen bewohnen uns, das eine, das Baby, das Schauende und das andere, der Mensch, der wir sind, der Blinde, der viel und ständig Ausschau hält.) Ja, es muss in diesem Schau mal! um mehr gehen als um den Vogel, das Eichhörnchen, den im Wind schaukelnden Ast. Es geht ums Ganze, die Wahrheit, das Unsichtbare. Wollen wir das Baby ablenken, von dort, wo es nichts zu schauen gibt und hinlenken, dorthin, wo es etwas zu schauen gibt, verrät unser Wunsch uns selbst. So wie wir das Schauen, dorthin, wo das Baby mit seinem ganzen Blick verweilt, aufgegeben haben, wollen wir es unsererseits zur Aufgabe dieses ungelenkten, ungenauen, ungezielten Schauens drängen. Nur aus den edelsten Motiven selbstverständlich, großzügig wollen wir dem Baby die ganze Welt zeigen, schenken, uneingeschränkt (wir sind eben keine Griechen, die die Gegenstände tüchtig und lebendig schauten, wie Goethe meint, und es fällt uns schwer uns dem Baby gegenüber in Demut zu üben, wie es derselbe Dichter zum Ausdruck bringt: dein ungetrübtes freies auge schaut / die ferne klar, die uns im nebel liegt). Der Besuch im Museum ist tatsächlich hilfreich, wollen wir uns selbst verstehen. Mein Sohn und ich bei Cy Twombly. (Das Museum Brandhorst ist ein Tempel, aber es fällt schwer zu sagen, welche Heiligkeit dort angebetet und verehrt wird. Oberflächlich betrachtet ist es die Kunst, moderne Kunst, Gegenwartskunst, die die Heiligkeit zusätzlich steigert. Die Besucher an diesem Vormittag flüstern, aus Ehrfurcht und Angst, als könnte etwas Schreckliches aufgescheucht werden, das mit schwerster Strafe droht. Die Aufpasser walten ihres Amtes. Glücklich, einen besucherleeren Raum betreten zu haben, springen sie uns sofort hinterher, um dann unbeteiligt, unschuldig wieder abzudrehen. Mein Sohn immerhin erntet ein paarmal wohlwollendes Augenzwinkern und freundliches Zunicken – würde sich darin nur nicht die Mahnung verbergen, sich bloß ordentlich zu benehmen. Jeder weiß, wie Babys sind, respektlos würden sie jedes Kunstwerk zerstören, mit Stift und schmutzigen Händen oder der scharfen Kante des Zippers des Reißverschlusses ihrer blauen Jacke. Wollte jemand unbedingt paranoid werden, sollte er ins Museum gehen. Möglich aber auch, im Museum wieder zum rechten Glauben zu finden.Zu diesem stillen, inneren Glauben, am besten wortlos.) Betrachte ich einen Cy Twombly, kann ich mich fragen, was sehe ich? (Kann es aber genauso gut sein lassen.) Eine sonderbare Frage, eine Frage, die doch alles Sehen betrifft! Immer und überall, können wir das, was wir sehen befragen (lassen wir uns nicht täuschen vom Vogel, dem Eichhörnchen, dem im Wind schaukelnden Ast). Was sehen wir? Kein Wunder also, dass die beklemmende, geduckte Stille im Museum plötzlich von einem Schau mal! durchbrochen wird, das sich von den Schrifttafeln, die die Bilder des Künstlers begleiten, machtvoll erhebt und uns mit einem gewaltig gestreckten Zeigefinger anspringt. Hören wir einen Moment hin: Wir sind eingeladen, mit dem Auge die einzelnen Linienverläufe abzutasten und nachzuvollziehen: wo sie beginnen, auslaufen und wie sich sich überlagern – jede Nuance der malerischen Spuren möchte als Formereignis wahrgenommen und genossen werden … Man glaubt, der lustvollen Ausgelassenheit sich selbst überlassener gestischer Malspuren zuzuschauen, einen rauschhaft regressiven Taumel… Fast kommt es uns vor, als würde sich ein Kreis, dessen Anfang auf dem Spielplatz, am See, im Zoo begonnen hat, hier im Museum schließen. Wir sollen sehen, was wir sehen sollen! Sogar das Gefühl (die lustvolle Ausgelassenheit) wird uns vorgefühlt. Auch hier begegnet uns wieder die Überzeugung, das es das richtige Sehen gäbe, dass die Welt, um geschaut zu werden, eines Weckrufes bedarf, der unser Auge zu lenken und leiten versteht. (Vielleicht besteht die ganze Welt im Grunde aus einem einzigen großen pädagogischen Auftrag – nur zu was genau möchte er uns erziehen?) Dachten wir, im Museum einen Ort des freien Blicks gefunden zu haben, sind wir jetzt eines Besseren belehrt worden. Das Schau mal! ist allwaltend, allgegenwärtig und zügellos. Und doch ist sein Kampf um unsere Aufmerksamkeit umsonst. Solange wir unserem Baby, unserem Meister im Schauen folgen, uns nicht ablenken lassen von unserem eigenen Blick… (doch: da schaukelt unser Baby plötzlich wild auf meinen Schultern, als ich gerade mein Lieblingsgekritzel, kunstvoll dilettantisch, blicksaugstark, eine ernste und freche Schau zugleich, ein Bild – ist es eins? -, einen überzeugenden Wirbel aus bunten Fäden, der ein bißchen herumspinnt, ein Bild, viel zu schade für einen Rahmen, ein gefangenes Bild, ein schlankes Durcheinander, das gerne zunehmen, sich verdichten würde, aber sich viel zu ungelenk anstellt dabei – als ich also gerade mein Lieblingsgekritzel betrachte, da beugt sich unser Baby nach vorne, weit nach vorne, ins Zentrum des Gekritzels: es wird doch nicht das Bild küssen wollen, den Twombly küssen wollen, dieses Künstlerwerk, das uns ebenso babyfreundlich wie babyunfreundlich vorkommt! Irrtum: unser Baby biegt sich ganz nah zu meinem Gesicht, bis es mein Auge findet und ihm bedeutet, dass es Zeit wird zu gehen. Warum geht man ins Museum? Doch nur, um bald wieder erlöst in die Freiheit heraustreten zu können! – Aber das hat jetzt nicht unser Baby gesagt. Irgendjemand hat es gesagt. Irgendwann).

Look! A thousandfold parental wakeup call that resounds day after day over babies and no-longer-babies, coaxing, chirping serviceably, seeking to influence and guide, submitting an offer, wanting to rip the world open for them as well as open and widen their clueless little eyes, teach them to see the world, by all means. Look! The call is well meant, the result of an innocent impulse. We are already there, have been here for a long time, the parents think (and aunts and uncles, grandparents, and already the brothers and  sisters, in fact all the big people think this), we know the world and know how to recognize it quickly (that bird there, that squirrel, that branch swaying in the wind), faster than our baby can recognize the world, and so we call out to him and point with our index finger (our whole hand, our head, our eyes) to whatever there is something to be seen (and of course never to where there is nothing to be seen. Oh you babies, sometimes you simply look where there is nothing to be seen! Why do you do that?). Full of pleasure at one’s own recognition, one’s own knowledge, indeed only now, at this moment of combined pointing and calling, does one become conscious of one’s own knowledge, which one so very much wants to pass on to the children. This great knowledge of one’s own that is now being put within reach of the ignorant little creature that is our child, definitely with a certain hurry and the wish that he not miss anything (not miss a bird, a squirrel, a branch swaying in the wind). (Look! That cry comes flying out of our own mouth too, faster than we can think, it’s already out before our first thought. Could it be that we are calling for the Absolute? That we are not at all concerned with the bird, the squirrel, the branch swaying in the wind? Don’t we want to show our baby Everything? The Whole? The great totality? Which we have long since – we notice it as our cry finds a many-voiced echo that dances like a swarm of bees, like the swaying cloud over the playground; look! – lost touch with.  It is an odd sort of twist we are performing with our call, odd because we are doing it without intention, it happens to us as if it were, no, not our fate, but almost. Do we really want to teach our baby how to see? But that is what babies are best at, seeing; that is what they have been doing from the beginning; they see just as we cannot see, we’re almost tempted to say, have not ever been able to see. Not for the first time we think: two beings inhabit us, the first one being the baby, the seeing one, and the other the person that we are, the blind one who is constantly on the lookout.) Yes, this “Look!” must be about something more than the bird, the squirrel, the branch swaying in the wind. It’s about the Whole, the Truth, the Invisible. When we seek to divert the baby from where there is nothing to see to where there is something to see, that wish betrays us, shows us our condition. Just as we have given up looking to where the baby abides with his entire gaze, we for our part want to urge him to give up this unguided, imprecise, undirected seeing. Only with the noblest of motives, of course, generously we want to show, indeed give, the baby the whole world, without restriction (the truth is, we are not like the Greeks, who saw objects ably and vitally, as Goethe said, and we find it hard to practice ourselves in humility with regard to the baby, as the same poet puts it: dein ungetrübtes freies auge schaut / die ferne klar, die uns im nebel liegt – your undimmed free eye clearly sees/ the distance that for us is swathed in mist). A visit to the museum is truly helpful if we want to understand ourselves. My son and I with Cy Twombly. (The Brandhorst Museum is a temple, but it is difficult to say what is the holiness that is being worshipped and revered here. On the face of it it is art, modern art, the art of the present, that further amplifies the holy. The visitors this morning are whispering, out of awe and fear, as if something terrible might be scared up that holds the threat of the most severe punishment. The guards are exercising their duty. Pleased at having entered a room that is empty of visitors, we find them immediately at our heels, after which they turn away with an indifferent innocent air. Still, my son garners a few benevolent winks and friendly nods – if only they did not conceal the reminder to make sure he behaves well. Everyone knows how babies are, they would destroy every work of art without respect, with a pencil and dirty hands or the sharp edge of the zipper on their blue jacket. If someone really wants to become paranoid, he should go to a museum. Though conceivably he might find the way back to true faith there. To this silent, inner faith, preferably without words.) When I look at a Cy Twombly, I can ask myself, what am I seeing? (And can just as well not do so.) An odd question, a question that really concerns all seeing! Always and everywhere we can consult what we are seeing (let us not be deceived by the bird, the squirrel, the branch swaying in the wind). What are we seeing? No wonder the oppressive, cowering silence in the museum is suddenly punctured by a Look! that powerfully rises from the descriptive placards next to the artist’s paintings and leaps at us with a mightily outstretched index finger. Let us listen for a moment: We are invited to touch the individual lines with our eyes, follow them in their course: where they begin, where they expire, and where they overlap – every nuance of the painterly traces wants to be perceived and enjoyed as an event in the world of forms . . . It feels as if one were watching the joyfully exuberant traces of gestures performed in paint, an ecstatically regressive delirium . . . It almost seems as if a circle whose beginning began on the playground, by the lake, in the zoo, were closing here in the museum. We want to see what we are supposed to see! Even our feeling (the joyful exuberance) is being felt for us. Once again we encounter the conviction that there is such a thing as true seeing, That in order for the world to be seen, a wakeup call is needed that knows how to steer and guide our eyes. (Maybe the whole world basically consists of a single great pedagogic assignment – but what exactly does it want to educate us toward?) Where earlier we thought that in the museum we had found a place for free seeing, we are now disabused of that notion. The Look! is omnipotent, omnipresent, and unrestrained. And yet its struggle for our attention is in vain. As long as we follow our baby, our master in seeing, and don’t allow ourselves to be distracted by our own gaze . . . (but: suddenly our baby rocks wildly on top of my shoulders, just when, faced with my favorite scribblings, their artful dilettantism, the powerful draw they exert on the eye, a seeing that is at once serious and impudent, a picture – is it a picture? –, a convincing whirl of many-colored threads that is spinning around a little, a picture, much too good to be framed, a captive picture, a lean hodgepodge that would like to get thicker, consolidate, but goes about it much too awkwardly – so just as I am looking at my favorite scribblings, our baby leans forward, far forward, into the center of the scribbling: he can’t possibly be trying to kiss the picture, kiss the Twombly, this work of art that strikes us as being equally baby-friendly and baby-unfriendly! Wrong: our baby is bending very close to my face, until he finds my eye and lets it know that it is time to leave. Why does one go to a museum? Surely only to be released from it and step back out into freedom! – But that is not something our baby said. Someone else said it. At some time).

 

 

 

 

Das zweite Jahr – 15

15

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Kein Grund zur Bescheidenheit. Das Baby muss keinen Vergleich scheuen mit den Größten und Besten. Unser Genie! Unser genialer Meister! Natürlich vergleichen wir uns, natürlich vergleichen wir unser Baby, uns mit den anderen, unser Baby mit den anderen Babys. Wie könnten wir nicht! Wollen wir wissen, wie wir sind, bemühen wir gerne den Vergleich, andersherum: wer wissen will, wie wir sind, wird als erstes bemerken, wir sind welche, die gerne vergleichen, die gerne und gerade auch dann vergleichen, wenn sie vorgeben, nicht zu vergleichen. Es ist nicht wirklich schicklich, zu vergleichen und die Moral zählt den Vergleich meist zu den Sünden der Eigenliebe, die selbst eine Sünde ist, wenn auch eine lässliche. Der Vergleich wird vielleicht deswegen ebenso gut wie schlecht angesehen, weil er so ungeheuer resultatversessen ist. Wer vergleicht, erhält ein Resultat, fast augenblicklich fällt das Urteil und zeitigt im positiven Fall Zufriedenheit, im negativen Unzufriedenheit. Also: ganz unbescheiden vergleichen wir uns (das Baby, du, ich), unsere Familie, aber nicht etwa mit einer anderen Familie, oder nur indirekt mit einer anderen Familie, über den Umweg der Musik vergleichen wir uns, über eine sinfonische Dichtung, die den Titel trägt Symphonia domestica, ein Werk des letzten großen sinfonischen Meisters,  Richard Strauss. Im Bunde mit unserem Baby fallen die Schranken, die Hemmungen, die Schüchternheit, solche Vergleiche anzustellen. Wo sonst sollte ein sinnvoller Vergleich angesiedelt sein, als dort, wo das Beste geschieht, das Beste sich unserem Gehör andient und es gerade nicht überwältigt. Der Arbeitstitel der Symphonia domestica lautete: Mein Heim. Ein sinfonisches Selbst- und Familienporträt. (Hier halten wir inne. Mein Heim: ein Ausdruck, der zu schweben beginnt, auf Herzhöhe zu schweben beginnt, dem seine Schwerelosigkeit aber nicht anzusehen ist. Was nur bedeuten kann: er hat Gewicht. Gewicht, wie Musik Gewicht hat, obwohl sie zu den unwiegbaren Dingen gerechnet werden muss. Wie könnte man besser etwas Autobiographisches, das sich ganz der Familie zuwendet, erzählen als sinfonisch? Strauss erzählt wuchtig und lyrisch (und ein wenig grob) aus dem familiären Innenleben, das sich im Moment des Erzählens zum Außenleben wandelt. Familie ist sichtbar und unsichtbar. Und am besten sichtbar ist sie, wenn sie hörbar ist. Als Begriff ist Familie zu schwerfällig, zu ambivalent, zu historisch, zu stark dem Augenblick entzogen. Als Musik ist Familie durchtönender Genuß, dem keine Mißtöne untergemischt sind, nicht ein einziger, auch wenn es nicht an schrägen, krummen, gemeinen Tönen mangelt. Harmonie spielt keine Rolle oder nur eine Nebenrolle, wenn es um die musikalische Gestaltung geht, um das Tonwerk, das treu seinem kompositorischen Konzept folgt, blindbewusst  – blindbewusst wie wir, die wir so gestimmt der Tagessinfonie unseres Babys folgen. Die Harmonie, die uns beglückt, ist eine andere. Sie entsteht im inneren Hören, in diesem großen Raum gegen den ein Konzertsaal wie eine Puppenstube wirkt. Die Musik tritt das innere Hören gleichsam los, indem es uns von uns selbst befreit für diese Dreiviertelstunde: anders als Gedanken fliehen uns Töne; wollten wir sie festhalten, würden wir das Ganze verpassen. So ist die Familie, denken wir, genau so, während wir uns die Schmeicheleien der Oboe d´amore gefallen lassen. Meiner lieben Frau und unserem Jungen gewidmet. So steht es über der Partitur, unverwandt süßer lässt sich eine Widmung wohl kaum ausdrücken, kaum unschuldiger, freier, einfacher. Wie leicht fällt uns in diesem Moment der Vergleich, wie zärtlich schmiegt er sich uns an, wie unser Baby neuerdings seine Stirn an unserer Stirn rasten lässt, wann immer es ihm gefällt.) Vergleichen wir die Musik mit dem Leben, fällt auf: sie lässt sich nicht vergleichen. Es verhält sich viel schlimmer als mit Äpfel und Birnen. Irgendetwas aus der Musik ins Leben zu übertragen ist unmöglich. Deswegen lieben wir die Musik. Wegen ihrer Unvergleichbarkeit. Umso mehr wollen wir ihr dankbar sein, dass sie uns über das wahre Wesen der Familie aufklärt (in dieser genußvollen Dreiviertelstunde, die sich als solche mit Leichtigkeit verbirgt). Die Familie wie sie ist: träumerisch, feurig, frisch, gemächlich, gefühlvoll, zornig, ruhig, singend, sehr behaglich. Eine Familie ohne Kind gibt es nicht, weshalb sich bald, naturgemäß, der nächste Vergleich aufdrängt (was die Musik so unvergleichlich unvergleichlich macht: sie lässt sich jeden Vergleich aufdrängen, Musik wehrt sich nie). Mögen die sordinierten Trompeten und die Klarinetten das Baby ganz nach dem Papa kommend behaupten, während Posaunen, Hörner und Oboen die Ähnlichkeit der Mama zuschreiben wollen, bedeutet das im sinfonischen Gesamtklang nichts als einen kleinen Witz, an dem sich die Musik vergeblich versucht. Genug verglichen, denken wir. Unser Baby ähnelt dir und unser Baby ähnelt mir. Eine Ähnlichkeit jenseits aller Arithmetik. Sagen wir einfach, die Ähnlichkeit ist musikalischer Natur. Vergleichen wir unser familiäres Wesen unbedingt mit der Musik, die wir beim nächsten Mal hören wahrscheinlich nicht wiedererkennen werden. Und dann kommt sie uns plötzlich ganz vertraut vor. Ganz neu. Rätselhaft. Blindbewusst. (Was für ein Verhau Musik doch ist! Was für ein Genuß! Die Generalprobe ist zu Ende. Ich – bloßer Zuhörer – atme durch. Der Dirigent beginnt zu korrigieren. Wer in dieser ganzen musikalischen Geschichte ist eigentlich der Dirigent? Hier und dort, noch einmal, schneller, langsamer, früher, leiser … zusammen, zusammen, immer zusammen! Aber bloß keine Eile! Unser letzter Vergleich: Die Familie ist eine zufallsfreie Komposition, unbedingt sinfonisch, mehr laut als leise, und immer ein bißchen heroisch, ist ihre Einstimmigkeit Vielstimmigkeit, und sie ist Vielmehrstimmigkeit als Dreistimmigkeit, aber wer zum Teufel ist ihr Dirigent?)(Am Ende war das jetzt gar kein richtiger Vergleich, und der allerletzte ist es ebenfalls nicht: Das Dirigat unseres Babys, dem wir so leidenschaftlich gehorchen, gehorcht seinerseits dem Zufälligen. Kein Wunder, dass auf diese Weise die schönste Musik entsteht. Hören wir sie, will uns selbst mit größter Anstrengung dann kein Vergleich mehr gelingen.)

No reason to be modest. The baby bears comparison with the greatest and the best. Our genius! Our brilliant master! Of course we compare ourselves, of course we compare our baby, us with the others, our baby with the other babies. How could we not! If we want to know what we are like, we resort to comparisons, and inversely: Anyone wanting to know what we are like will notice immediately that we are the kind of people who like to compare, and who particularly like to compare when they pretend not to compare. It’s not really good manners to compare, and morality usually reckons comparison among the sins of self-love, which is itself a sin, albeit a venial one. Perhaps the reason comparison is regarded as both good and bad is that it is so enormously intent on results. He who compares, receives a result, the judgment falls almost instantaneously, resulting in contentment if the judgment is positive, and in discontent if it is negative. And so: without undue modesty we compare ourselves (the baby, you, I), our family, but not with some other family, or only indirectly with another family; we compare ourselves by way of music, through a symphonic poem that bears the title “Symphonia domestica,” a work by the last great symphonic master, Richard Strauss. In concert with our baby the barriers fall, the inhibitions, the shyness at making such comparisons. Where else could a meaningful comparison be established if not where the best is happening, where the best comes to offer its services to our hearing in order, precisely, not to overwhelm it. The working title of the Symphonia domestica was: My home. A symphonic self- and family portrait. (Here we pause. My home: an expression that begins to hover, begins to hover at the level of the heart, but whose weightlessness is imperceptible. Which can only mean: it has weight. Weight, in the way music has weight, even though it must be counted among the imponderable things. What better way could there be to tell an autobiographical story that completely addresses the family, than symphonically? Strauss tells the story, massively and lyrically (and somewhat coarsely), of his familial inner life, which at the moment of being told turns into outer life. Family is visible and invisible. And its best way of being visible is by being audible. As a concept, family is too unwieldy, too ambivalent, too historical, too strongly separated from the moment. As music, family is a resounding pleasure without any dissonances mixed in, not a single one, even though there is no lack of skewed, crooked, common tones. Harmony plays no role or only a subsidiary role in matters of musical creation, of sounds arranged in faithful obedience to a compositional concept, blindly conscious – blindly conscious as we are when we attune ourselves to follow our baby’s day-symphony. The harmony that delights us is of a different kind. It arises by inner hearing, in this great space compared to which a concert hall seems like a doll’s house. Music sets off the inner hearing by liberating us from ourselves for these forty-five minutes: sounds escape us differently from the way thoughts do; if we tried to hold on to them, we would miss the whole. That is what the family is like, we think, exactly like that, happily listening to the blandishments of the oboe d’amore. Dedicated to my wife and our boy. Those are the words above the score. Could there be a dedication more steadfastly sweet in its formulation, more innocent, more free, more simple? How easily comparison occurs to us at this moment, how tenderly it nestles close to us, like our baby’s recent way of resting his forehead against our forehead whenever he feels like it.) If we compare music with life, we notice: it can’t be compared. It’s much worse than it is with apples and oranges. Transferring something from music into life is impossible. That is why we love music. Because of its incomparability. And we want all the more to be grateful to music for enlightening us as to the true nature of the family (in these luscious three quarters of an hour that hide themselves as such with ease). The family is as it is: dreamy, fiery, fresh, leisurely, sensitive, angry, calm, singing, very comfortable. A family without a child does not exist, which is why pretty soon, naturally, the next comparison suggests itself (what makes music so incomparably incomparable: it allows itself to be compared with anything, music never objects). When the muted trumpets and clarinets want to assert that the baby is just like the father, while the trombones, horns, and oboes insist on ascribing similarity to the mother, in the symphonic whole it amounts to no more than the music’s little attempt at a joke. Enough comparisons, we think. Our baby resembles you and our baby resembles me. A similarity beyond arithmetic. Let’s just say the similarity is of a musical kind. Let us by all means compare our family’s nature with music, which we will probably not recognize the next time we hear it. And then suddenly it seems completely familiar. Utterly new. Mysterious. Blindly conscious. (What a tangled mess music is! What a pleasure! The dress rehearsal is over. I – a mere listener – take a deep breath. The conductor begins to make corrections. Who in this whole musical history is the conductor? Here and there, a capo, faster, slower, softer . . . together, together, always together! But above all, no hurry! Our last comparison: The family is an accident-free composition, absolutely symphonic, more loud than soft, and always somewhat heroic, its single voice is many-voiced, and it is many-more-voiced than three voices in unison, but who the hell is the director?)(Ultimately that was not a real comparison, and it is not the ultimate comparison either: Our baby’s conductorship, which we so passionately obey, belongs for its part to the sphere of chance and accident. No wonder this is what gives rise to the most beautiful music. When we hear it,

 

 

Das zweite Jahr – 14

14

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Treppensteigen. Hinab und hinauf. An der Seite eines Babys sich an einer Treppe zu versuchen, zuerst hinauf, bald danach auch hinab, das ist die größte Herausforderung, die die Zeit an uns stellen kann, denn die Zeit selbst stellt sich uns darin (und vielleicht ist das Treppensteigen das, wodurch das Baby zuallererst aus sich heraussteigt und in das Kind, das es werden muss, hineinsteigt, wie die Eltern, die es dabei begleiten, erst dann wirklich Eltern werden, wenn sie mit ihrem Kind diese unzähligen Stufen hinter sich gebracht haben). Es wird kaum ein Kind zu finden sein, das keine Treppen steigen möchte. Die Verlockungen des Aufsteigens und des Absteigens sind einfach zu groß. Nein, es ist keine Verlockung, dazu fehlt es an der verführenden Absicht (aber wer weiß, womöglich riechen Treppen, gleich aus welchem Material, ausnehmend gut und es gibt sogar ein Treppenaroma, das nur Babynasen erreicht), nein, es ist mehr als eine Verlockung, aber weniger als ein Trieb (kein ich muss treibt die kleinen Treppengeher an, vielmehr ein ich will). Treppen sind überall, oft gibt es nur eine Stufe, doch die Einstufentreppe des Bordsteins oder die Zweistufentreppe zu den Mülltonnen hinauf oder die Dreistufentreppe zur Kellertür hinunter üben, auch wenn sie nie ausgelassen werden, keinen so großen Sog auf unser Baby aus wie die Treppe, die zur Wohnung führt (es muss nicht unsere Wohnung sein, gerne gehen wir auch im Besuchsfall die Treppen zu den Wohnungen der Anderen, der Bekannten, der Freunde, aber die Treppe zu unserer Wohnung, unsere Treppe, gehört unsere Vorliebe. Unsere Treppe ist die eigentliche Treppe, die wahre Treppe, die Vorbildtreppe, eine mehrmals täglich bestiegene Gewohnheitstreppe, deren Besteigung  aber mit dem Baby an der Seite uns erstaunlicherweise nie zu eben dieser Gewohnheit verkommt. Das hat zu tun mit unserem Herkommen, glauben wir, darin liegt vielleicht der Witz der ersten Treppen – ist es nicht so gewesen, dass unser Baby zu uns herabgestiegen ist, und wie anders hätte das vorsichgehen können, als über eine Treppe?). Also gehen wir mit unserem Baby (wieviel Baby steckt überhaupt noch im treppensteigendem Kind?) in aller Langsamkeit Stufe um Stufe hinauf und hinab (wann fragen wir uns einmal, hat es angefangen mit dem Treppensteigen? Wir können uns nicht gut zurückerinnern, an die erste Stufe, den ersten Schritt, wie oft, wenn wir uns fragen, wie hat dies oder das angefangen, scheint es fast so, als würde, das, was anfängt einfach anfangen, als würde dem ersten Schritt gleichsam kein erster Schritt vorangehen, vorangehen können. (Das erinnert mich an eine Übung des Mediationslehrers Charles Genoud, die hier in Englisch wiedergegeben wird, denn auch der Franzose spricht Englisch, wenn es um spirituelle Lehre und Übung geht: you may stand / just being standing / can you take a first step / where is it now / now you are standing just standing / can you take a second step / what does second mean when one takes a step / a previous step does not exist anymore / how could we ever take another step / another step with respect to what / past steps do not exist future steps do not exist another step does not exist / first second keep the sense of duration / of time / can you walk going nowhere / walk fast / going nowhere). Wir gehen mit unserem Baby nach oben. Aber es ist in Wahrheit so: unser Baby geht die Treppe zu unserer Wohnung nach oben und wir gehen an seiner Seite. Es nimmt dabei nicht unsere helfende, haltende Hand in Anspruch, denn es greift, seitlich gehend, mit beiden Händen in die senkrechten Streben des Treppengeländers. Es geht sehr langsam. Wir gehen sehr langsam. Zwischen jedem Schritt gibt es eine Art Pause, eine Lücke, Luft, Raum, genug Zeit für einen längeren Vortrag (zum Beispiel über das Treppensteigen: dass es manchmal einer Aneinanderreihung von Fermaten ähnelt). Aber dann (weil unser Baby unberechenbar ist) macht es jetzt nicht zwischen jedem Schritt diese Pause, sondern nur zwischen jedem dritten oder fünften. Wir gehen langsam: das stimmt nicht. Ich versuche langsam die Treppe hochzugehen. So langsam, dass ein neues Wort nötig wäre, um diese Langsamkeit treffend zu beschreiben. Nicht zu langsam hinterher zu gehen und schon gar nicht schneller zu gehen als unser Baby und in den Pausen nicht wegzusacken, zu vergessen, dass wir ja unterwegs sind: es fällt dem Begleiter nicht leicht. Es handelt sich hier um keine Übung in der Zeit, sondern eine Übung der Zeit selbst. An der Zeit, mit der Zeit, eine Zeitübung. Dem geduldigsten Vater, der geduldigsten Mutter wird die Zeit lang, unendlich lang, ein Ungeheuer diese Zeit (wir haben scheinbar Probleme mit der Ewigkeit, aber nicht, weil wir uns nichts unter ihr vorstellen können, sondern weil wir dann, wenn sie akut ist, mitten in der Zeit sich zeigt, verzagen, als könnte sie uns beschädigen, als würde sie uns die Zeit rauben). Eine Übung ist es, eine große Übung. Das Vorpreschen des eigenen Fußes ist kaum zu bändigen. Üblicherweise ist das Treppensteigen lästig (wenn wir es nicht aus sportlichen Gründen unternehmen), es hält auf, wie es uns (je nach Anzahl der Stockwerke) außer Atem bringt, und überhaupt ist es nur ein Intermedium auf unserem Weg von da nach dort, dem wir nicht zuviel Aufmerksamkeit schenken wollen, oder überhaupt keine. Aber jetzt! Unser Baby (dem wir beim Treppensteigen noch nicht zuviel zutrauen wollen, es könnte die Balance verlieren oder statt an die Streben des Treppengeländers, in die Lücke zwischen zwei Streben greifen), unser Baby, dieser kleine Zeitdämon, unser Vermittler zwischen dem Irdischen und Göttlichen, zwischen Oben und Unten oder Unten und Oben, diesem Baby können wir nur folgen ohne die Nerven zu verlieren, wenn wir uns auf gleicher Höhe mit ihm bewegen, auf der gleichen Stufe der Treppe, wenn wir unser (unser, nicht sein) Ziel aus den Augen verlieren, wenn wir nichts tun, als was unser Baby tut, sich die Treppe hinauf- oder hinunterbefördern, alles, was man ist hinauf- oder hinunterbefördern, restlos, komplett und ohne Bedenken. Auf der Höhe mit unserem Baby sein, ist auf der Höhe mit der Zeit sein. Dem Tempo des Babys gehorchen wie seinem Rhythmus (und wirklich: wir haben gar keine Wahl nicht zu gehorchen, wir können uns ein bißchen dagegen auflehnen, das schon, aber das bringt uns nichts und schon gar nicht weiter) – vielleicht gewinnen wir dadurch unser eigenes Tempo, unseren eigenen Rhythmus zurück (sie sind uns verloren gegangen im Laufe der Zeit, zum Glück nicht ganz). Tatsächlich, so ist es: wir besiegen unseren Eigensinn beim Treppensteigen und versöhnen uns mit der Zeit. Und dann sind wir oben (oder unten) angekommen. Jetzt sind wir oben (oder unten) und ein ganzes Leben ist vergangen. (Heute will unser Baby die letzten Stufen nicht mehr gehen. Es dreht sich mir zu, legt den Kopf in den Nacken, um zu mir hochzusehen und streckt die Arme aus. Dann springt es an mir hoch und ich trage es nach oben, heute oben, in meinem Tempo, meinem Rhythmus. Nein, es ist natürlich nicht an mir hochgesprungen, das kann es noch nicht, aber so plötzlich, wie es den Wunsch zeigte, getragen werden zu wollen, kam mir das vor wie ein Sprung. Ein Zeitsprung. Oder vielmehr eine Sprengung der Zeit. Schon öfter habe ich das gedacht: so ein Baby ist auch ein Sprengmeister.)

No reason to be modest. The baby bears comparison with the greatest and the best. Our genius! Our brilliant master! Of course we compare ourselves, of course we compare our baby, us with the others, our baby with the other babies. How could we not! If we want to know what we are like, we resort to comparisons, and inversely: Anyone wanting to know what we are like will notice immediately that we are the kind of people who like to compare, and who particularly like to compare when they pretend not to compare. It’s not really good manners to compare, and morality usually reckons comparison among the sins of self-love, which is itself a sin, albeit a venial one. Perhaps the reason comparison is regarded as both good and bad is that it is so enormously intent on results. He who compares, receives a result, the judgment falls almost instantaneously, resulting in contentment if the judgment is positive, and in discontent if it is negative. And so: without undue modesty we compare ourselves (the baby, you, I), our family, but not with some other family, or only indirectly with another family; we compare ourselves by way of music, through a symphonic poem that bears the title “Symphonia domestica,” a work by the last great symphonic master, Richard Strauss. In concert with our baby the barriers fall, the inhibitions, the shyness at making such comparisons. Where else could a meaningful comparison be established if not where the best is happening, where the best comes to offer its services to our hearing in order, precisely, not to overwhelm it. The working title of the Symphonia domestica was: My home. A symphonic self- and family portrait. (Here we pause. My home: an expression that begins to hover, begins to hover at the level of the heart, but whose weightlessness is imperceptible. Which can only mean: it has weight. Weight, in the way music has weight, even though it must be counted among the imponderable things. What better way could there be to tell an autobiographical story that completely addresses the family, than symphonically? Strauss tells the story, massively and lyrically (and somewhat coarsely), of his familial inner life, which at the moment of being told turns into outer life. Family is visible and invisible. And its best way of being visible is by being audible. As a concept, family is too unwieldy, too ambivalent, too historical, too strongly separated from the moment. As music, family is a resounding pleasure without any dissonances mixed in, not a single one, even though there is no lack of skewed, crooked, common tones. Harmony plays no role or only a subsidiary role in matters of musical creation, of sounds arranged in faithful obedience to a compositional concept, blindly conscious – blindly conscious as we are when we attune ourselves to follow our baby’s day-symphony. The harmony that delights us is of a different kind. It arises by inner hearing, in this great space compared to which a concert hall seems like a doll’s house. Music sets off the inner hearing by liberating us from ourselves for these forty-five minutes: sounds escape us differently from the way thoughts do; if we tried to hold on to them, we would miss the whole. That is what the family is like, we think, exactly like that, happily listening to the blandishments of the oboe d’amore. Dedicated to my wife and our boy. Those are the words above the score. Could there be a dedication more steadfastly sweet in its formulation, more innocent, more free, more simple? How easily comparison occurs to us at this moment, how tenderly it nestles close to us, like our baby’s recent way of resting his forehead against our forehead whenever he feels like it.) If we compare music with life, we notice: it can’t be compared. It’s much worse than it is with apples and oranges. Transferring something from music into life is impossible. That is why we love music. Because of its incomparability. And we want all the more to be grateful to music for enlightening us as to the true nature of the family (in these luscious three quarters of an hour that hide themselves as such with ease). The family is as it is: dreamy, fiery, fresh, leisurely, sensitive, angry, calm, singing, very comfortable. A family without a child does not exist, which is why pretty soon, naturally, the next comparison suggests itself (what makes music so incomparably incomparable: it allows itself to be compared with anything, music never objects). When the muted trumpets and clarinets want to assert that the baby is just like the father, while the trombones, horns, and oboes insist on ascribing similarity to the mother, in the symphonic whole it amounts to no more than the music’s little attempt at a joke. Enough comparisons, we think. Our baby resembles you and our baby resembles me. A similarity beyond arithmetic. Let’s just say the similarity is of a musical kind. Let us by all means compare our family’s nature with music, which we will probably not recognize the next time we hear it. And then suddenly it seems completely familiar. Utterly new. Mysterious. Blindly conscious. (What a tangled mess music is! What a pleasure! The dress rehearsal is over. I – a mere listener – take a deep breath. The conductor begins to make corrections. Who in this whole musical history is the conductor? Here and there, a capo, faster, slower, softer . . . together, together, always together! But above all, no hurry! Our last comparison: The family is an accident-free composition, absolutely symphonic, more loud than soft, and always somewhat heroic, its single voice is many-voiced, and it is many-more-voiced than three voices in unison, but who the hell is the director?)(Ultimately that was not a real comparison, and it is not the ultimate comparison either: Our baby’s conductorship, which we so passionately obey, belongs for its part to the sphere of chance and accident. No wonder this is what gives rise to the most beautiful music. When we hear it,

Das zweite Jahr

13

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Kinder sind Wunderkinder, heißt es bei August Strindberg (Das Buch der Liebe), und es ist fast so, als würde diese Überschrift zu einem kurzen Text ausreichen, sich in der wohligen Sicherheit einer warmen Gewissheit zu wiegen. Ja, Kinder sind Wunderkinder! Ein Ausruf, der sich genügt, keiner Erläuterung bedarf, denn jede Erläuterung würde nur seiner Wahrheit Kratzer zufügen, seinen Glanz beschädigen und am Ende ruinieren. Am besten wird es sein, so lange wie möglich in der reinen Anschauung zu verbleiben, die die Gewissheit des Ausrufs garantiert (eine schwierige Übung, die unser Baby aber nachdrücklich von uns fordert. Oft genug zeigt es uns, was wir am schlechtesten können: einfach nur schauen, nur schauen, schauen. Und mag ein Gedanke zu diesem Schauen sich einstellen, der uns klar und wahr vorkommt, ihn in Ruhe lassen! Still sein. Ein Satz, ein Ausruf genügt. Unser Baby praktiziert es. Langsames Herumstreunen, ein Blatt finden, ein Stöckchen, einen Kronkorken – irgendetwas finden -, es in die Hand nehmen, hochhalten, und ein artikulierter Ruf der Freude. Vielleicht ein paar Mal hintereinander. Dann anschauen. Im Schauen bleiben. Auch deshalb sind Kinder Wunderkinder, weil sie etwas können, das uns sofort Kopfzerbrechen bereitet. Finden wir die Wahrheit einmal – und es geschieht häufiger, als wir es bemerken – können wir uns kaum daran hindern, sie zu zerlegen, zerschlagen, zerstören. Innehalten fällt uns unendlich schwer, wie alles dem Nichttun ähnliche – Innehalten, eine Tugend, die unserem Baby in die Wiege gelegt wurde und die es seitdem stets bei sich trägt, auf seinem Kopf trägt, eine Krone, glänzender noch als die Wahrheit selbst). Alle Kinder sind, trotz allem Geschwätz, Wunderkinder. Bis sie schweigen gelernt haben. Kleine Kinder sagen ja oft Dinge, dass man verblüfft ist. Sie verstehen alles, was man spricht, auch wenn man es ihnen zu verbergen sucht. Sie scheinen Gedankenleser zu sein, verraten unsere geheimsten Absichten, bestrafen uns im voraus, heißt es weiter bei August Strindberg. (Wir bringen den Kindern nicht das Sprechen bei, sondern das Schweigen. Von Anfang an sprechen sie, sprechen alles aus, weil sie gar nicht anders können, nicht anders wollen. Allwissende, die sie sind, Allesbemerker, die sie sind, Furchtlose und Mutige, die sie sind. Unser Schweigen ist unsere Mutlosigkeit und Furcht. Ihr zukünftiges Schweigen ist ihre Treue zu uns, ihr Mitleiden an unserer Furcht und Mutlosigkeit. Und irgendwann wird ihr Schweigen wie unser Schweigen sein – das also, können wir dann sagen, haben wir unseren Kinder gründlich beigebracht: Das Schweigen. Ein naheliegender Verdacht: das große Reden und Großreden, die Bedeutung der großen Redner vertuscht das Schweigen, das die große Rede, jedes Großreden in Wahrheit ist. Und wenn es keinen Grund für das Daseins der Babys gäbe, wenn sich kein einziger finden ließe, gäbe es immer noch den, dass unsere Babys uns erinnern, dass sich das mit dem Reden und Schweigen irgendwann verkehrt hat, dass aus dem Reden das Schweigen wurde und aus dem Schweigen das Reden. Und das wäre der Grund, warum die Menschheit ihr Ende finden würde, gäbe es keine Babys mehr – und nicht der Mangel an Nachkommen. Babys sind mehr Erinnerung als Zukunft und ohne diese Erinnerung, ohne das, woran sie uns erinnern, gäbe es keine Zukunft. Es ist so, sagen die Babys, wir sind mit Strindberg einer Meinung und mit Platon sowieso. Strindberg hat ganz recht, wenn er auf Platon verweist, alles, was das Kind lernt, gewinnt es nur zurück aus einem Vorhergehenden. Wir, sagen die Babys, sind Strindberg und wir sind Platon, Strindberg ist ein bißchen verrückt, aber das sind wir ja auch. Und Platon ist auch ein bißchen verrückt, auf eine andere Art, auf eine weniger hitzige Art, aber das sind wir manchmal auch, weniger hitzig, oder wie man heute und nicht zu Strindbergs und Platons Zeiten sagt: cool.) Das Wundersame an Babys ist, dass sie nicht leer sind und auch nicht voll sind. Sie tragen die Zeitalter der Menschheit in sich, wenn sie zu uns kommen, aber nicht als Ballast, Rucksack, Traurigkeit. Sie wissen alles, aber nicht auf diese Weise, wie wir uns alles wissen vorstellen. Sie finden das Wissen, Forschen, Anschauen amüsant. Genau das scheint ihre Haltung zu sein, mit der sie auf die Welt kommen: diese Welt ist Amüsement. Das ist die Babyart, die Welt wertzuschätzen. Eine Wertschätzung, die so radikal ist, dass sie nichts als nicht Wert zu schätzend ausschließt. Aber dann heißt es bei Strindberg: „Tu das nicht!“, sagte mein zweijähriges Kind, ehe meine Absicht noch halb gereift war. Auch so sind die Babys. Da kugeln sie gerade noch in totaler Wertschätzung durch unsere Welt und im nächsten Augenblick ermahnen sie uns. Wie soll man diese Ermahnung verstehen? Müssten wir, wenn wir bei Sinnen sind, nicht eine Ermahnung durch unser Baby, nein, allein die Idee einer solchen, rüde ablehnen und ins Reich der sogenannten Hirngespinste verweisen? Andererseits ist es schwer, diesen Gedanken, einmal gefasst, wieder loszuwerden. Vielleicht möchte uns unser Baby bloß vor jeder Unaufrichtigkeit bewahren, deren Verführungen wir kaum widerstehen können. Will unser Baby doch in jedem Augenblick (wirklich in jedem, nicht nur ab und zu, oder in jedem zweiten Augenblick oder zehnten), dass wir nichts tun, ohne es ganz zu tun, und Ganzes zu tun, muss bedeuten, nie die Verbindung zu dem, woraus wir etwas tun, zu verlieren, und Verbindung soll heißen, dass wir wie unser Baby eine Rückverbundenheit beachten, aus der heraus wir nicht länger Handelnde sind. So klug ist unser Baby. Und wenn wir noch weitere Fragen haben oder uns etwas unklar geblieben ist, wird uns unser Baby auf Nachfrage wie bei August Strindberg schelmisch und überlegen anlächeln und antworten: „Das weißt du schon selber.“ (Da kommst du vorbei mit unserem Baby auf dem Rücken und berichtest, du glaubst, es hätte heute sein erstes richtiges Wort gesprochen, Decke, beim Herumtragen der kleinen, weißen Wolldecke und dabei hätte sein Gesicht einen scheuen Ausdruck angenommen. Und du sagst weiter, ich hätte gerade ganz und gar keinen scheuen Ausdruck im Gesicht, ganz im Gegenteil, auch wenn du nicht zu sagen wüsstest, was genau das Gegenteil von scheu wäre, treulich womöglich. Als ich dir berichte, worüber ich eben, bevor du kamst, nachgedacht haben, sagst du, aha! Lange sinne ich darüber nach, was dieses aha! bedeuten mag, während ich Kartoffeln und Zucchini in kleine Stücke schneide, denke ich darüber nach, auch während ich später die Küche aufräume und auch, während du unser Baby ins Bett bringst und überhaupt den ganzen Abend, bis wir uns schlafen legen. Beim Einschlafen schließlich komme ich darauf, was dieses aha! bedeutet. Kaum liest man ein bißchen Strindberg, bedeutet es, wird man schon wie Strindberg und nicht nur ein bißchen, man ist dann Strindberg, wie eigentlich nur Babys Strindberg sein können. Strindberg, denke ich beim Einschlafen, ist ein echter Babyautor, seine Wahrheitsart ist wie die Wahrheitsart der Babys, das ist so, weil er selbst ein Wunderkind ist, wie wir alle, wie wir alle).

Children are wonder-children, it says in August Strindberg (The Book of Love), and it is almost as if this brief title would suffice for a brief text in which to lull oneself in the comforting assurance of a warm certainty. Yes, children are wonder-children! An exclamation that is sufficient to itself, does not require explanation, for any explanation would only mar its truth, damage its luster, and ruin it in the end. It will be best to abide as long as possible in the pure contemplation that the certainty of this exclamation guarantees (a difficult practice, but one which our baby emphatically demands of us. Often enough he shows us what we are least able to do: just seeing, just seeing, just seeing. And if a thought about this seeing should arise — a thought that strikes us as clear and true – let it be! Just be still. One statement, one cry is enough. Such is our baby’s practice. Slowly roaming about, finding a leaf, a stick, anything – taking it into his hand, holding it up, and an articulate cry of joy. Perhaps a few times in a row. Then look at it. Stay with the seeing. This is one more reason why children are wonder-children: that they can do something that immediately turns into a headache for us. If we stumble on the truth – and it happens more frequently than we notice – we can hardly prevent ourselves from taking it apart, smashing it, ruining it. Stopping is infinitely difficult for us, like anything that resembles non-action – stopping, a virtue our baby seems to have been born with and which he always carries with him, on top of his head, a crown, more radiant than truth itself. All children are, in spite of idle talk, wonder-children. Until they have learned not to talk. Little children often say things which astound one. They understand all that we say even when we hide it from them. They seem to be thought-readers, divine our secret purposes, and rebuke us beforehand, it says further in August Strindberg. (We don’t teach children how to speak, we only teach how not to speak. They speak from the beginning, and say everything out loud, because they can’t do otherwise. All-knowing ones that they are, all-noticing ones that they are, fearless and courageous ones that they are. Our not-talking is our discouragement and our fear. Their future not-talking is their way of being faithful to us, is their compassion with our fear and discouragement. And at some point their silence will be our silence – so this, we can say then, is something we thoroughly taught our children: how not to speak. An obvious assumption suggests itself: great speeches as well grandiloquent talk, the importance of the great orators camouflages the not-saying that every great speech and all grandiloquence actually are. And if there were no reason for our baby’s existence, because no such reason could be found, there would still be the fact if which our babies remind us, that the business of speech and silence at some point reversed itself, that speech became silence and silence speech. And that would be the reason why humanity would come to an end if there were no more babies – and not the lack of offspring. Babies are more memory than future and without this memory, without that of which they remind us, there would be no future. That is so, the babies say, we are in agreement with Strindberg, and with Plato too, that goes without saying. Strindberg is completely right when he refers to Plato, everything the child learns is merely a recovery of something that existed before. We, the babies say, are Strindberg and Plato, Strindberg is a little crazy, but so are we. And Plato is a little crazy too, but in a different way, in a less heated way, but that is something we are too, sometimes, or, as people say nowadays and didn’t say when Strindberg and Plato were alive: cool.) The strange thing about babies is that they are not empty and not full either. They carry the ages of humanity within themselves when they come to us, but not as a burden, a backpack, sadness. They know everything, but not in the way we imagine knowing everything would be. They find knowing, exploring, examining amusing. Just that seems to be the attitude with which they come into the world: this world is amusement. That is the babies’ way of appreciating the world. An appreciation that is so radical that they find nothing not worthy of appreciation. But then it says further in Strindberg: “Don’t do that, said my two-year-old child before my plan was half formed” — that too is how babies are. One moment they are rolling through our world in total appreciation, and the very next moment they rebuke us. How should we respond to this rebuke? Should we not, if we are in our right mind, brusquely reject a rebuke from our baby, even the very idea of such a rebuke, and relegate it to the realm of so-called chimeras? On the other hand it is difficult to dismiss this thought once once has formed it. Maybe out baby only wants to protect us against insincerity, which tempts us almost irresistibly at every turn. That what our baby wants of us at every moment (truly at every moment, not just now and then, or at every other moment or every tenth) is that we do nothing without wholly doing it, that we act wholeheartedly, must mean never losing the connection with what we act out of, and connection means that, like our baby, we do not ignore a connection with a source out of which we are no longer the agents of our deeds. That is how smart our baby is. And if we have any further questions or something is still not clear, our baby will respond to our queries, as the child does in August Strindberg, roguishly and with a knowing smile: “You already know that yourself.” (Just now you come in with our baby on your back to tell me you think he said his first real word today, blanket, while carrying the little white woolen blanket, and that his face took on a shy expression. And you say further that I at the moment don’t have a shy expression on my face, quite the opposite, even though you can’t say what exactly the opposite of shy might be, confiding perhaps. When I tell you what I was thinking about just before you came, you say, Aha! For a long time, I wonder what this Aha! might mean, while cutting potatoes and zucchini into small pieces I’m still thinking about it, and later while cleaning up in the kitchen and also while you put our baby to bed and actually throughout the evening until we lie down to sleep. While falling asleep I finally realize what this “Aha!” means. The moment one reads Strindberg just a little, it means, one is already Strindberg and not just a little, one is Strindberg, just as, in truth, only babies can be Strindberg. Strindberg, I think, as I fall asleep, is a true baby author, his kind of truth is the babies’ kind of truth, and this is so because he himself is a wonder-child, just as we all are, all of us.