DAS ZWEITE JAHR – 17

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Vater sein bedeutet dann auch, sich plötzlich inmitten von Frauen wiederfinden. (Plötzlich: denn zuerst fällt es nicht auf. Unter Frauen sein ist: sich wie in einem natürlichen Zustand zu fühlen. Dieser Umstand macht sich nicht selbst zum Thema. Kein Nachdenken darüber. Vielleicht täuscht auch ein weiterer einzelner Mann, der mit Kind auf dem Spielplatz auftaucht, darüber hinweg.) Inmitten von Frauen. (Ein Nachbar beschreibt mir sein Unwohlsein, wenn er mit seiner Tochter unterwegs war, immer und überall Frauen, sagt er, und diese Frauengespräche und wie schräg sie mich ansahen, als hätte ich hier nichts zu suchen … Er schüttelt den Kopf, wie befreit, da seine Tochter jetzt längst die Schule besucht und er sie nicht weiter auf den Spielplatz begleiten muss. Von was genau fühlt er sich befreit, frage ich mich und schüttle selbst den Kopf). Frauen: die Gesellschaft beginnt weiblich. (Und die Emanzipation der Männer hat noch nicht begonnen. Sie mag keimen, aber es ist bekannt, wie empfindlich Keime sind. Ein Gedanke wird gefasst, zwei Sekunden später ist er verschwunden. Solange sich kein Nährboden findet, wird er selbst, wenn er wiederkehrt, wieder gleich verschwinden. Die Emanzipation der Frauen findet beifälliges Nicken, Unterstützung, ehrliches Gutheißen unter vielen Männern. Ihre eigene Emanzipation scheint sich darin zu erschöpfen. Ich glaube, dass die Emanzipation der Männer in der Zugewandtheit zu ihren Kindern ihren Beginn finden muss. Denn sie leitet die Männer dorthin, wo sie sich sich selbst zuwenden. Viele Männer sind abgewandt von sich, man könnte es beklagen. Ihre Zugewandtheit erschöpft sich im Dienen und Denken. Betrachte ich die Tatkraft der Frauen, scheint mir das Tun der Männer oft schal: der Glaube an die eigene bedeutende Männlichkeit lässt sie sich im Äußeren verlieren. Als wäre es das Einzige, das gestaltet werden könnte. Das Innere wird durchaus eingeräumt, aber Mann windet sich.) Unser Baby ist ein kleiner Mann. Mann unter Frauen, wie all die anderen Jungs. So fängt das Leben als Mann an: unter Frauen. (Gar nicht einfach, einen Mann zu entdecken, mit dem sich darüber reden lässt. Darüber zu reden, ist nicht nur kein männlicher Wunsch, mehr noch gibt es eine männliche Scheu, Bereiche zu besprechen, die irgendwie in feste Frauenhände zu gehören scheinen oder sich dort ungreifbar für einen Mann befinden. Wenn Frauen selbstverständlich unter sich über Frauen reden, reden Männer selbstverständlich unter sich nicht über Männer. Dort, wo die Babys sich aufhalten, dort ist augenfällig, wie es um Frauen und Männer steht. Offengestanden, auch mich befällt die Scheu über uns Männer zu reden, sage ich zu unserem Baby, wo mag diese Scheu nur ihren Ursprung haben? In einer Berührung, einer unerlaubten, womöglich? Gibt es ein männliches Heiligtum?) (Gestern mit unserem Baby am kleinen Badesee mit dem von einer riesigen Pappel beschatteten Sandstrand, mit flachem Ufer, ein paar Mütter mit ihren Kindern, wenige, kein Mann. Keine Männer, außer uns beiden. Schon wieder haben wir es vergessen. Die Frauen sind ohne Argwohn gegen uns, freigiebig, wir dürfen jede Schaufel, jeden Eimer, jeden Ball einfach nehmen, wir bekommen ein Keks, die Frauen sind müßig, bewegen sich weich, langsam steigen sie das kleine Gefälle zu ihren Decken, zu ihrem Platz hinauf, um gleich wieder in die andere Richtung zu laufen, zu ihren Kindern, die, mit den Füßen darin, noch an die Unschuld des Wassers glauben. Es fühlt sich mild an unter Frauen, angstfrei. Die Blicke sind sich wohlgesonnen, das Interesse ist lose, schwebend, nah, fern, wie der unvermittelte Anflug einer Schwebfliege und ihr blitzartiges Davonkreuzen. Friedlich ist die Stimmung und die Stimmen der Frauen sind es auch: nicht zu laut sind die Gespräche, die jederzeit unterbrochen und jederzeit wieder aufgenommen werden. Die Kinder fallen mit Rufen, Quietschen, Jauchzen in die Gespräche ein, die dehnbar sind und so eigenartig beschaffen, dass sie sich augenblicklich wieder zu straffen vermögen. Unter Frauen: wir vergessen es ein ums andere Mal. Die Frauen lassen uns vergessen, dass wir Männer sind, aber nicht, dass sie Frauen sind. Unter Müttern, scheinen sie zu sagen, sei willkommen, du Mannmutter mit Kind.) Manchmal erscheint auf der Bühne ein Großvater mit Kind, mit Baby. Tatsächlich eine Erscheinung, etwas Zukünftiges scheint im Alten auf. Im Großvater gibt es die Blitzemanzipation des Mannes, stolpernd, ein bißchen ungelenk ist der Mann, den sie hervorbringt, ein anderer, selbst überrascht von seiner neuen Rolle und seinen neuen Möglichkeiten. Die Zugewandtheit zum Enkelkind überrumpelt ihn, durch den Generationensprung tritt mit einem Schlag der andere Mann hervor, ungebrochen, ungehemmt durch die direkte Elternschaft. Es bereitet mir Vergnügen, ihn Muttermann zu nennen. (Mann beklaut die Frau. Die Mutter ist nicht ihr Privileg. Hat nicht unser Baby nun tagelang auch mich mit Ma angerufen, als würde es sich dem Diktat der von uns gelebten – und geglaubten – Dualität einfach auf diese Weise entziehen. Ich habe es mir gefallen lassen, als Ma, Mama bezeichnen zu werden, ist die anfängliche Irritation des Gewohnten erst einmal gebrochen, kann man auch wieder getrost zu eben diesem zurückkehren. Viel verdankt sich dem angeborenen Humor des Babys, Regeln, besonders sprachliche, zu brechen, ohne dass dieser Bruch eine einzige Scherbe hinterlässt. Mama und Papa: ein Rufspiel, kaum zu überschätzen, kaum zu unterschätzen. (Am Samstag treten die Männer dann zahlreich auf. Beschuldigen wir sie zu Unrecht, wenn wir behaupten, die Entspanntheit der Wochentage ist mit ihrem Auftreten verschwunden? Jetzt nehmen die guten Väter die Sache, das Kind in Angriff, mit viel Schwung und Einsatz. Gute Väter wollen sie sein, oh, ja, sie sind gut, wer dürfte es ihnen absprechen? Nein, nur die Verwunderung wollen wir nicht zurückhalten, dass an den Orten, wo die Kinder sich befinden, die Väter, Männer nur für Momente so zahlreich auftreten, um dort einen Raum einzunehmen, der sich aber durch einen kurzen Auftritt nicht füllen lässt. Fehlt das Gleichgewicht der Eltern zu ihren Kindern, wird jede Rolle undeutlich. Die Mutter wird zu groß, der Vater zu klein. Was die Mutter verkleinert, wie den Vater vergrößert. Nein, wir jammern nicht darüber. Doch ein bißchen. Wir haben einfach Lust, die Möglichkeiten des Mannes in der Welt auszukundschaften, also wollen wir uns mit einem Mann darüber unterhalten. Mein Sohn, der kleine Mann, geduldig hört er zu. Mach dir keine Gedanken um die anderen, sagt er, ich mach mir nie Gedanken um die anderen. Oder er sagt: doch mach dir ruhig Gedanken um die anderen. Schwer ist es, sage ich, den Mann zu fassen. Wen willst du fassen? sagt mein Sohn und will, dass ich ihn auf die Schwanenwippe hebe.) Unter Frauen wird das Leben des Mannes lau (heute auf dem Spielplatz hinter der Kirche, nachdem wir Butterbreze gegessen haben und er, der kleine Mann zum Wasserpilz losgezogen ist, erinnere ich mich an einen Bekannten, der einmal davon sprach, wie demütigend er es manchmal empfunden hat, einen Kinderwagen vor sich her zu schieben. Es bringt mich auf die Idee, dass besonders das kleine Kind, das Baby neben dem Stolz sein Miterzeuger zu sein, wenn es um die tägliche Fürsorge geht, durchaus Scham und Scheu im Mann hervorruft, deren beider Ursprung irgendwie in der grundsätzlichen Fehlerhaftigkeit eines Prinzips liegen könnte. Um sich aufrechtzuerhalten, muss das Prinzip Mann sich offenbar ein wenig Gewalt antun und schon immer angetan haben. Als würden mit der Aufweichung des Prinzips ihre Träger gleichsam selbst aufweichen, verschwinden, zumindest vom Verschwinden bedroht sein. Einige Männer aber widersprechen dieser Idee sogleich, die Männer, die wie Mütter wickeln, nähren, sorgen. Wieder: es ist eher so, dass diese Männer ihre Männlichkeit erst habhaft werden durch dieses Tun, weil sie sich dadurch weniger ihrem Prinzip, das sie zu sein scheinen, ausliefern. Überhaupt einen Schritt aus ihrem Prinzip herauswagen.) Unter Frauen wird das Leben des Mannes reich (Ein paar Kinder sind da mit ihren Erzieherinnen aus der Kita. Zwei einzelne Frauen mit Kind, Baby. Ich, mein Sohn. Er beginnt sogleich mit seiner Emanzipation von mir. Rennt wackelnd davon – wie er so von hinten über den Sand läuft, sieht es aus, als wäre er eine Marionette, die von einem nicht sehr geübten Spieler bewegt wird. Manchmal schwebt er, dann wieder ist seine Bodenhaftung schwer und drückend. Der linke Arm, der rechte Arm, beide sind auf unterschiedliche Art am Körper festgemacht. Sie können sich überall hin drehen und biegen. Der Kopf ist eine Kanonenkugel, so groß und überdeutlich zeichnet er sich vor dem Laub der Büsche, auf die unser Baby zurennt, ab, dass man glauben könnte, er sei gar nicht gemacht für diesen kleinen Körper. Dieser Kopf – auch von dem zu kleinen Körper, der ihn zu tragen hat, wird er sich emanzipieren. Fast hätte wir es wieder einmal übersehen: unser Baby ist auch Meister der Emanzipation. Unbeirrbar darin. Unnachgiebig. Lustvoll ziellos suchend. Er wird den Mann, der er ist, finden.) Als Vater gerät man unter Frauen, ganz anders als zuvor erlebt, gewohnt, geübt. Ein hübscher Nährboden ist das. Eine Blumenwiese. Pflücken ausdrücklich erlaubt.

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