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Das erste Jahr Babybuddha jetzt auf:
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Treppensteigen. Hinab und hinauf. An der Seite eines Babys sich an einer Treppe zu versuchen, zuerst hinauf, bald danach auch hinab, das ist die größte Herausforderung, die die Zeit an uns stellen kann, denn die Zeit selbst stellt sich uns darin (und vielleicht ist das Treppensteigen das, wodurch das Baby zuallererst aus sich heraussteigt und in das Kind, das es werden muss, hineinsteigt, wie die Eltern, die es dabei begleiten, erst dann wirklich Eltern werden, wenn sie mit ihrem Kind diese unzähligen Stufen hinter sich gebracht haben). Es wird kaum ein Kind zu finden sein, das keine Treppen steigen möchte. Die Verlockungen des Aufsteigens und des Absteigens sind einfach zu groß. Nein, es ist keine Verlockung, dazu fehlt es an der verführenden Absicht (aber wer weiß, womöglich riechen Treppen, gleich aus welchem Material, ausnehmend gut und es gibt sogar ein Treppenaroma, das nur Babynasen erreicht), nein, es ist mehr als eine Verlockung, aber weniger als ein Trieb (kein ich muss treibt die kleinen Treppengeher an, vielmehr ein ich will). Treppen sind überall, oft gibt es nur eine Stufe, doch die Einstufentreppe des Bordsteins oder die Zweistufentreppe zu den Mülltonnen hinauf oder die Dreistufentreppe zur Kellertür hinunter üben, auch wenn sie nie ausgelassen werden, keinen so großen Sog auf unser Baby aus wie die Treppe, die zur Wohnung führt (es muss nicht unsere Wohnung sein, gerne gehen wir auch im Besuchsfall die Treppen zu den Wohnungen der Anderen, der Bekannten, der Freunde, aber die Treppe zu unserer Wohnung, unsere Treppe, gehört unsere Vorliebe. Unsere Treppe ist die eigentliche Treppe, die wahre Treppe, die Vorbildtreppe, eine mehrmals täglich bestiegene Gewohnheitstreppe, deren Besteigung aber mit dem Baby an der Seite uns erstaunlicherweise nie zu eben dieser Gewohnheit verkommt. Das hat zu tun mit unserem Herkommen, glauben wir, darin liegt vielleicht der Witz der ersten Treppen – ist es nicht so gewesen, dass unser Baby zu uns herabgestiegen ist, und wie anders hätte das vorsichgehen können, als über eine Treppe?). Also gehen wir mit unserem Baby (wieviel Baby steckt überhaupt noch im treppensteigendem Kind?) in aller Langsamkeit Stufe um Stufe hinauf und hinab (wann fragen wir uns einmal, hat es angefangen mit dem Treppensteigen? Wir können uns nicht gut zurückerinnern, an die erste Stufe, den ersten Schritt, wie oft, wenn wir uns fragen, wie hat dies oder das angefangen, scheint es fast so, als würde, das, was anfängt einfach anfangen, als würde dem ersten Schritt gleichsam kein erster Schritt vorangehen, vorangehen können. (Das erinnert mich an eine Übung des Mediationslehrers Charles Genoud, die hier in Englisch wiedergegeben wird, denn auch der Franzose spricht Englisch, wenn es um spirituelle Lehre und Übung geht: you may stand / just being standing / can you take a first step / where is it now / now you are standing just standing / can you take a second step / what does second mean when one takes a step / a previous step does not exist anymore / how could we ever take another step / another step with respect to what / past steps do not exist future steps do not exist another step does not exist / first second keep the sense of duration / of time / can you walk going nowhere / walk fast / going nowhere). Wir gehen mit unserem Baby nach oben. Aber es ist in Wahrheit so: unser Baby geht die Treppe zu unserer Wohnung nach oben und wir gehen an seiner Seite. Es nimmt dabei nicht unsere helfende, haltende Hand in Anspruch, denn es greift, seitlich gehend, mit beiden Händen in die senkrechten Streben des Treppengeländers. Es geht sehr langsam. Wir gehen sehr langsam. Zwischen jedem Schritt gibt es eine Art Pause, eine Lücke, Luft, Raum, genug Zeit für einen längeren Vortrag (zum Beispiel über das Treppensteigen: dass es manchmal einer Aneinanderreihung von Fermaten ähnelt). Aber dann (weil unser Baby unberechenbar ist) macht es jetzt nicht zwischen jedem Schritt diese Pause, sondern nur zwischen jedem dritten oder fünften. Wir gehen langsam: das stimmt nicht. Ich versuche langsam die Treppe hochzugehen. So langsam, dass ein neues Wort nötig wäre, um diese Langsamkeit treffend zu beschreiben. Nicht zu langsam hinterher zu gehen und schon gar nicht schneller zu gehen als unser Baby und in den Pausen nicht wegzusacken, zu vergessen, dass wir ja unterwegs sind: es fällt dem Begleiter nicht leicht. Es handelt sich hier um keine Übung in der Zeit, sondern eine Übung der Zeit selbst. An der Zeit, mit der Zeit, eine Zeitübung. Dem geduldigsten Vater, der geduldigsten Mutter wird die Zeit lang, unendlich lang, ein Ungeheuer diese Zeit (wir haben scheinbar Probleme mit der Ewigkeit, aber nicht, weil wir uns nichts unter ihr vorstellen können, sondern weil wir dann, wenn sie akut ist, mitten in der Zeit sich zeigt, verzagen, als könnte sie uns beschädigen, als würde sie uns die Zeit rauben). Eine Übung ist es, eine große Übung. Das Vorpreschen des eigenen Fußes ist kaum zu bändigen. Üblicherweise ist das Treppensteigen lästig (wenn wir es nicht aus sportlichen Gründen unternehmen), es hält auf, wie es uns (je nach Anzahl der Stockwerke) außer Atem bringt, und überhaupt ist es nur ein Intermedium auf unserem Weg von da nach dort, dem wir nicht zuviel Aufmerksamkeit schenken wollen, oder überhaupt keine. Aber jetzt! Unser Baby (dem wir beim Treppensteigen noch nicht zuviel zutrauen wollen, es könnte die Balance verlieren oder statt an die Streben des Treppengeländers, in die Lücke zwischen zwei Streben greifen), unser Baby, dieser kleine Zeitdämon, unser Vermittler zwischen dem Irdischen und Göttlichen, zwischen Oben und Unten oder Unten und Oben, diesem Baby können wir nur folgen ohne die Nerven zu verlieren, wenn wir uns auf gleicher Höhe mit ihm bewegen, auf der gleichen Stufe der Treppe, wenn wir unser (unser, nicht sein) Ziel aus den Augen verlieren, wenn wir nichts tun, als was unser Baby tut, sich die Treppe hinauf- oder hinunterbefördern, alles, was man ist hinauf- oder hinunterbefördern, restlos, komplett und ohne Bedenken. Auf der Höhe mit unserem Baby sein, ist auf der Höhe mit der Zeit sein. Dem Tempo des Babys gehorchen wie seinem Rhythmus (und wirklich: wir haben gar keine Wahl nicht zu gehorchen, wir können uns ein bißchen dagegen auflehnen, das schon, aber das bringt uns nichts und schon gar nicht weiter) – vielleicht gewinnen wir dadurch unser eigenes Tempo, unseren eigenen Rhythmus zurück (sie sind uns verloren gegangen im Laufe der Zeit, zum Glück nicht ganz). Tatsächlich, so ist es: wir besiegen unseren Eigensinn beim Treppensteigen und versöhnen uns mit der Zeit. Und dann sind wir oben (oder unten) angekommen. Jetzt sind wir oben (oder unten) und ein ganzes Leben ist vergangen. (Heute will unser Baby die letzten Stufen nicht mehr gehen. Es dreht sich mir zu, legt den Kopf in den Nacken, um zu mir hochzusehen und streckt die Arme aus. Dann springt es an mir hoch und ich trage es nach oben, heute oben, in meinem Tempo, meinem Rhythmus. Nein, es ist natürlich nicht an mir hochgesprungen, das kann es noch nicht, aber so plötzlich, wie es den Wunsch zeigte, getragen werden zu wollen, kam mir das vor wie ein Sprung. Ein Zeitsprung. Oder vielmehr eine Sprengung der Zeit. Schon öfter habe ich das gedacht: so ein Baby ist auch ein Sprengmeister.)
No reason to be modest. The baby bears comparison with the greatest and the best. Our genius! Our brilliant master! Of course we compare ourselves, of course we compare our baby, us with the others, our baby with the other babies. How could we not! If we want to know what we are like, we resort to comparisons, and inversely: Anyone wanting to know what we are like will notice immediately that we are the kind of people who like to compare, and who particularly like to compare when they pretend not to compare. It’s not really good manners to compare, and morality usually reckons comparison among the sins of self-love, which is itself a sin, albeit a venial one. Perhaps the reason comparison is regarded as both good and bad is that it is so enormously intent on results. He who compares, receives a result, the judgment falls almost instantaneously, resulting in contentment if the judgment is positive, and in discontent if it is negative. And so: without undue modesty we compare ourselves (the baby, you, I), our family, but not with some other family, or only indirectly with another family; we compare ourselves by way of music, through a symphonic poem that bears the title “Symphonia domestica,” a work by the last great symphonic master, Richard Strauss. In concert with our baby the barriers fall, the inhibitions, the shyness at making such comparisons. Where else could a meaningful comparison be established if not where the best is happening, where the best comes to offer its services to our hearing in order, precisely, not to overwhelm it. The working title of the Symphonia domestica was: My home. A symphonic self- and family portrait. (Here we pause. My home: an expression that begins to hover, begins to hover at the level of the heart, but whose weightlessness is imperceptible. Which can only mean: it has weight. Weight, in the way music has weight, even though it must be counted among the imponderable things. What better way could there be to tell an autobiographical story that completely addresses the family, than symphonically? Strauss tells the story, massively and lyrically (and somewhat coarsely), of his familial inner life, which at the moment of being told turns into outer life. Family is visible and invisible. And its best way of being visible is by being audible. As a concept, family is too unwieldy, too ambivalent, too historical, too strongly separated from the moment. As music, family is a resounding pleasure without any dissonances mixed in, not a single one, even though there is no lack of skewed, crooked, common tones. Harmony plays no role or only a subsidiary role in matters of musical creation, of sounds arranged in faithful obedience to a compositional concept, blindly conscious – blindly conscious as we are when we attune ourselves to follow our baby’s day-symphony. The harmony that delights us is of a different kind. It arises by inner hearing, in this great space compared to which a concert hall seems like a doll’s house. Music sets off the inner hearing by liberating us from ourselves for these forty-five minutes: sounds escape us differently from the way thoughts do; if we tried to hold on to them, we would miss the whole. That is what the family is like, we think, exactly like that, happily listening to the blandishments of the oboe d’amore. Dedicated to my wife and our boy. Those are the words above the score. Could there be a dedication more steadfastly sweet in its formulation, more innocent, more free, more simple? How easily comparison occurs to us at this moment, how tenderly it nestles close to us, like our baby’s recent way of resting his forehead against our forehead whenever he feels like it.) If we compare music with life, we notice: it can’t be compared. It’s much worse than it is with apples and oranges. Transferring something from music into life is impossible. That is why we love music. Because of its incomparability. And we want all the more to be grateful to music for enlightening us as to the true nature of the family (in these luscious three quarters of an hour that hide themselves as such with ease). The family is as it is: dreamy, fiery, fresh, leisurely, sensitive, angry, calm, singing, very comfortable. A family without a child does not exist, which is why pretty soon, naturally, the next comparison suggests itself (what makes music so incomparably incomparable: it allows itself to be compared with anything, music never objects). When the muted trumpets and clarinets want to assert that the baby is just like the father, while the trombones, horns, and oboes insist on ascribing similarity to the mother, in the symphonic whole it amounts to no more than the music’s little attempt at a joke. Enough comparisons, we think. Our baby resembles you and our baby resembles me. A similarity beyond arithmetic. Let’s just say the similarity is of a musical kind. Let us by all means compare our family’s nature with music, which we will probably not recognize the next time we hear it. And then suddenly it seems completely familiar. Utterly new. Mysterious. Blindly conscious. (What a tangled mess music is! What a pleasure! The dress rehearsal is over. I – a mere listener – take a deep breath. The conductor begins to make corrections. Who in this whole musical history is the conductor? Here and there, a capo, faster, slower, softer . . . together, together, always together! But above all, no hurry! Our last comparison: The family is an accident-free composition, absolutely symphonic, more loud than soft, and always somewhat heroic, its single voice is many-voiced, and it is many-more-voiced than three voices in unison, but who the hell is the director?)(Ultimately that was not a real comparison, and it is not the ultimate comparison either: Our baby’s conductorship, which we so passionately obey, belongs for its part to the sphere of chance and accident. No wonder this is what gives rise to the most beautiful music. When we hear it,