Das erste Jahr Babybuddha jetzt auf:
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Einem Freund, dessen Frau eben ein Kind geboren hat, gratulieren wir zur Geburt seiner Vaterschaft (in der Formulierung unsere Gratulation kommen wir uns unzeitgemäß vor, altmodisch, übermodern; Vaterschaft ist eine Geburt für den, der Vater geworden ist, genaugenommen ist eine Geburt eine Doppelgeburt: Kindgeburt, Vatergeburt. – Eine Triplegeburt scheint es nicht zu sein. Die Mutter ist mindestens früher geboren; wenn je). Bei Freud heißt es in Moses, ein Ägypter: Die ersten Kinderjahre werden von einer großartigen Überschätzung des Vaters beherrscht, der entsprechend König und Königin in Traum und Märchen immer nur die Eltern bedeuten, während später unter dem Einfluß von Rivalität und realer Enttäuschung die Ablösung von den Eltern und die kritische Einstellung gegen den Vater einsetzt. Vielleicht war demnach unsere Gratulation voreilig, oder wir hätten sie besser zeitlich einschränken und so den neuen Vater ermutigen sollen, doppelt die ersten Jahre der Vaterschaft zu genießen, bevor sie sich, wenn schon nicht in die Hölle, in etwas Höllenähnliches verwandeln würde. (Als Vater – aber auch Mutter, erstrecht als Kind – müssen wir immer wieder zu Freud zurückkehren. Zum einen scheint er selbst eine Art Urvater zu sein, auch wenn seine Lebenszeit noch nicht weit zurückliegt. Zum anderen ist er ebenso eine besondere Art Vater, Übervater, Überfamilienvater, der die Suche nach der Quelle von Glück und Unglück, immer wieder dorthin zu lenken versteht, wo die Familie beginnt. Außerdem ist er uns im Laufe der Jahre sympathisch geworden, wie jeder, der schreiben kann.) Wir wollen Freud umgestalten: Die ersten Vaterjahre werden von einer großartigen Überschätzung des Kindes beherrscht, der entsprechend König und Königin in Traum und Märchen immer nur die Kinder bedeuten, während später unter dem Einfluß von Rivalität und realer Enttäuschung die Ablösung vom Kind und die kritische Einstellung zum Sohn einsetzt. Was wir damit noch nicht gesagt haben und also in unsere erweiterte Gratulation zur Vaterschaft mit einbauen, ist, dass die Überschätzung des Kindes, des Babys für uns notwendig ist. Wir müssen es auf den Thron setzen, und müssen bedeutet hier nicht etwa, dass es uns möglich wäre, es unter anderen Umständen, oder selbst wenn wir andere Eltern wären, es nicht auf den Thron zu setzen. Ein müssen also, das, ohne Zwang zu sein, auf die Unausweichlichkeit unseres Handelns, Denkens, Tuns aufmerksam macht und uns dadurch, anders, als wir zu denken gewohnt sind, eine Tür in die Freiheit aufstößt. Und weil wir schon dabei sind: natürlich ist auch die Vaterschaft selbst unausweichlich gewesen und keinesfalls Folge einer Wahl oder unseres Willens. Wir gratulieren dem Freund und neuen Vater mit der Bemerkung, es musste (ja) so kommen. Jetzt, vom ersten Atemzug des Babys an, beginnt die Überschätzung des Kindes, wir wissen das aus eigener Erfahrung. Es ist aber eben eine großartige und gutartige Überschätzung, die wir nötig hatten und haben; denn die richtige Einschätzung der Vaterschaft wäre doch nur die uns genehmste (und angenehmste) Einschätzung gewesen, dergestalt ein Unding. Unsere Einschätzung muss fehlgehen, notgedrungen, wir waren und sind nicht in der Lage, richtig einzuschätzen, was Vatersein bedeutet, was hätten wir auch davon? Unser Baby ist unser Überschatz, es lässt uns keine Zeit und gibt uns keine Möglichkeit, das Richtige zu tun, wie wir es sonst, in allen anderen Dingen immer tun (natürlich wollen wir das Richtige tun, aber jetzt sehen wir klar, wir wollen das Richtige tun, aus unserer Überschätzung des Babys heraus, – das wir übrigens niemals unterschätzen, seit wir es zu unserem Überschatz gemacht haben; und auch, seitdem es uns mit diesem Schalk in den Augen anblickt, mit dieser gutmütigen Frechheit, die sich ganz und gar bewusst zu sein scheint, dass wir Eltern es unterschätzen sowieso nicht, und richtig einschätzen gleich zweimal sowieso nicht können, was besonders für seinen Vater gilt, der ihm gerade beim Kastaniensortieren zusieht: immer wieder eine Kastanie zwischen zwei andere legen, immer wieder eine Kastanie, die zwischen zwei anderen liegt, in die Hand nehmen und sie woanders zwischen zwei Kastanien legen, die offene Kastanienkette auf dem roten Teppich …). Diese zweite Geburt (nach der Selbstgeburt diejenige zur Vaterschft hin) ist vielleicht tatsächlich eine Geburt ins Glück (auch eine Überschätzung, sogar Selbstüberschätzung womöglich), eine Geburt ins Glück, die die vorangegangene Geburt gleichsam aufhebt in der Verdopplung dieses Vorgangs. Auch ist die zweite Geburt – so beschwerlich sie sich manchmal anfühlen will und so langdauernd und immer noch nicht beendet – eine Erleichterung: sie nimmt der eigenen Geburt ihre Erdenschwere und lässt den Geborenen flüchtiger werden). Sogemäß kann der Dichter Peter Handke den antiken Dichter in seiner Kindergeschichte zu Wort kommen lassen: Sind Kinder allen Menschen doch die Seele. Wer dies nicht erfuhr, der leidet zwar geringer, doch sein Wohlsein ist verfehltes Glück. (Seit ein paar Tagen küsst uns unser Sohn. Manchmal auf den Mund. Feuchte Seidenküsse, unbestimmt und selbstlos und zufällig wie Tropfen. Aber auch entschieden, vorsätzlich, wirkungsvoll. Wir halten still wie Kinder.)
A friend’s wife has just given birth. We send him a message congratulating him on the birth of his fatherhood (the formulation makes us feel anachronistic, old-fashioned, hypermodern; fatherhood is a birth for a man who has become a father; strictly speaking, a birth is a double birth: childbirth, fatherbirth – It does not appear to be a triple birth. The mother was born earlier, at least; if ever). According to Freud, in Moses and Monotheism: The child’s early years are governed by grand overestimations of his father; kings and queens in a dream or fairy tale always represent the parents. Later, under the influence of rivalry and real disappointments, separation from the parents and a critical attitude towards the father sets in. This suggests that our congratulations might have been premature, or that we should have given them a temporal limit, in order to encourage the young father to doubly appreciate the first years of fatherhood, before it turns into a hellish condition if not into hell itself. (As a father – but also as a mother, and even more so as a child – we need to return to Freud again and again. For one, he himself seems to be a kind of primordial father, even though the time when he lived was not very long ago. Secondly, he is also a special kind of father, an Über-father, an Über-family father, who knows how to direct the search for the source of happiness and unhappiness again and again to the place where the family begins. Furthermore, we have come to grow fond of him over the years, as does everyone who can write.) We want to reformulate Freud: The father’s early years are governed by grand overestimations of the child; kings and queens in a dream or fairy tale always represent the children. Later, under the influence of rivalry and real disappointments, separation from the child and a critical attitude towards the son sets in. What remains unsaid in this formulation, and what we intend to include in an expanded message of congratulation, is that the grandiose estimation of the child, the baby, is for us a necessity. We have to put him on the throne, and to say that we have to does not mean that under different circumstances, or even if we were different parents, it would be possible for us not to put him on a throne. A have to which, without its being forced on us, makes us aware of how inescapable our actions, our thinking, our choices are, thereby pushing open for us a door into freedom, in a way that is different from our customary way of thinking. And having broached that subject, we must acknowledge also that fatherhood itself was inescapable and in no way the result of a choice or our will. We congratulate our friend, the new father, with the remark that it had to happen the way it did. Now, from the baby’s first breath on, there begins the overestimation of the child, we know that from our own experience. But it is a grand and benign overestimation, which we needed and still need; for the right estimation of fatherhood would have merely been the estimation that was most convenient (and most agreeable) to ourselves, and on those grounds alone an absurdity. Our estimation has to go astray, necessarily, we were and are not in a position to estimate rightly what it means to be a father, and of what use would that be to us anyway? Our baby is our Über-treasure, he leaves us no time and gives us no opportunity to do the right thing in the way we otherwise, under all other circumstances, always do (of course we want to do the right thing, but now we see clearly, out of our overestimation of the baby, — whom we, incidentally, have never underestimated since the day we made him our Über-treasure; and also every since he has looked at us with this roguish look in his eyes, this good-natured impudence that seems to be perfectly conscious of the fact that we, his parents, are not capable of underestimating him in any case, and even less of estimating him rightly, which is particularly true of his father, who happens at the moment to be watching him arrange chestnuts: putting a chestnut between two others again and again, taking one chestnut that lies between two others into his hand, again and again, and placing it somewhere else between two chestnuts, the open chain of chestnuts on the red rug . . .) This second birth (after the birth of oneself, the one that will lead to fatherhood) is perhaps in fact a birth into happiness (also an overestimation, perhaps even an overestimation of oneself), a birth into happiness that, as it were, suspends the preceding birth in the doubling of this process. Also, the second birth – arduous though it may feel at times, and of such long duration and still not completed – is a relief: it relieves one’s own birth of its earthly weight, endowing the one who was born with a fugitive lightness). Thus the poet Peter Handke, in his Child Story, gives utterance to the ancient poet: “For children are the soul of all humans. He who has not experienced this, suffers less acutely, but his well-being is a failed happiness.” (For the past several days, our son has been kissing us. Sometimes on the mouth. Moist silken kisses, indefinite and selfless and accidental as drops. But also decisively, deliberately, effectively. We hold still, like children.)