Das zweite & dritte Jahr 41

Das erste Jahr Babybuddha jetzt auf:

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Ich erinnere mich an furchtsame Tage, bevor das Baby zu uns kam. Fragen, Mutmaßungen, Bedenken. Als könnte sein Erscheinen mir das Leben rauben. Als würde da jemand kommen, der die Fähigkeit mitbrächte, durch sein bloßes in die Welt treten (in meine Welt) mein Leben vollständig in sein Leben einzusaugen. Meine Freiheit in seinem Willen aufzulösen. Ein kleiner Dämon, dessen Kommen unausweichlich bevorstand, wie vorhergesagt, ein Messias, dessen Wirken mich wirkungslos machen könnte. Das Schicksal, fürchtete ich, könnte über mich hereinbrechen. Und ich war (mit) schuld daran. Um so schlimmer. Das Schicksal, ängstigte ich mich, würde wie eine Walze sein, die die Zuckungen, Regungen, Ausschläge meines Lebens plätten und wie eine Lawine, die mich Geplätteten unter sich begraben würde. Tatsächlich spürte ich in diesen Tagen, alles, was in Zukunft geschehen würde, als ein physisches Vorrücken gegen mich. Mein Raum in dieser Welt war bedroht. Ein noch nicht Geborenes griff nach ihm, fing an ihn auszufüllen und ich fing in Gedanken an, zum Rand hin auszuweichen, womöglich würde ich sogar aus meinem Raum herausfallen. Die Angst ist stark. Im Grunde bewundernswert in ihrer Stärke. Leise regt sie sich wie das erste Lüftlein nach einem windstillen, heißen Sommertag. Angenehme kleine Abkühlung. Unbestimmte Furcht, leises Zittern. Über Tage hin ruht sie in diese ungefährlichen Bewegung, bevor sie sich auswächst. Ich hätte sie zurückhalten können, Unterdrückung ist nichts, dessen ich nicht fähig wäre. Aber ich wollte sie nicht zur Seite schieben, nicht fesseln, ich dachte an unser Kind, das anderes verdiente und brauchte. Sein Vater sollte Mut beweisen. So ließ ich die Furcht, dieses verspielte Häppchen Angst, sich aufblähen und füllen, wie sie nur konnte. Die Angst vor dem eigenen Kind! Vor dem ungeborenen Kind. Vor dem unsichtbar sichtbaren Wesen, das in deinem Bauch heranwuchs. Du in deiner heiteren Schwangerschaft konntest mir nicht helfen. Mich nicht verstehen. Du wolltest mich an meine Vorfreude erinnern, aber ich wollte nicht erinnert werden. Diese Erinnerung würde mich betäuben, mir meine Angst ein wenig rauben, diese gewaltige Energie, die sich nicht umsonst sammeln sollte. Ich wollte in den Schlund der Angst fallen, eigenmächtig springen, nicht gestoßen werden, in diesen bodenlosen Abgrund, der sich merkwürdigerweise erst zu ganzer (dem, der sie hat entsprechender) Größe öffnet, wenn sie nichts mehr zurückhält und sie von niemandem länger zurückgehalten wird. Erst wenn sie ganz (vollkommen, allmächtig) ist, ist sie auch offen. Ich fühlte mich also durchaus bereit zur Transformation (die ich dem nahenden Baby verdanken würde), die auch eine Transformation weg vom schlechten Image der Angst sein würde. Paul Valéry schreibt in den Cahiers: Die Angst neigt dazu, den Kreis zu schließen, von vorne zu beginnen, was die Gedanken von sich aus unbegrenzt zu transformieren trachten. Sie ist also eine Behinderung von Transformation … Die Angst ist eine Degeneration der Aufmerksamkeit. Gut gedacht, aber das Gedachte hat nur Gültigkeit für die abgewehrte Angst. Die vom Glauben an die Freiheit der Gedanken überwältigte Angst. Der Automatismus der Angstabwehr war mir durchaus bekannt. Unser Baby stellte ihn auf eine neue Probe, intensiver als alle vorangegangenen Proben. Eine Probe, die, falls ich sie einigermaßen bestand, der Angst die Schwärze abgerungen haben würde. Ich ließ mich (wann genau es sich so verhielt, ist schwer zu sagen, denn die Angst ist auch ein Aal) also auf die Angst ein. Die Angst, die mir das kommende Kind einflößte. Es war sozusagen die erste Übung des kleinen Meisters, Babybuddhas deutlich spürbarer Anfang, die er – fast noch aus dem Jenseits, kam mir vor – mir stellte. Das Baby, nicht mehr als ein Luftzug, rief mir zu (mit so lauter Stimme wie sie die Wirklichkeit des Diesseits niemals zustande brächte): Fürchte dich! Fürchte dich vor mir! Und ich kam dem nach. Gehorchte und folgte. Bis dorthin, wo sich die Befürchtung, das Baby, mein Baby, unser Baby könnte mein Leben erobern und sich über Jahre in ihm als eine gestrenge Besatzungsmacht gebärden, in ihr Gegenteil verkehrte. Ich ging soweit, zu wollen, dass mein Baby mir mein Leben raubte. Sollte es doch! Ja! Mit größter Aufmerksamkeit konnte ich diesem Diebstahl zusehen. Ich konnte mitmachen, mein eigener Dieb werden. Und mit einem Siehe da! (dem Gemeinplatz aller Transformation) verschwand die Angst, verpuffte zu nichts, löste sich in einem einzigen Augenblick auf, als wäre sie nie gewesen. Nun konnte unser Kind geboren werden. (Natürlich war und bin ich nicht so verwegen zu glauben, die Angst hätte sich nun ein für alle Mal erledigt. Sie würde unvermutet, ungeahnt irgendwann wieder entstehen, genauso rätselhaft wie jedes neue Leben entsteht. Und es ist auch nicht so, dass ich mich auf die nächste Angst freuen würde; aber doch sehe ich ihr mit einer gewissen Ehrfurcht entgegen, bewundere jetzt schon ihre kommende Macht als wäre ich schon ganz und gar vertraut mit ihrer mysteriöse Art der Fürsorge. – Unser Kind hat eine Leidenschaft für das Laufrad entwickelt und daraus wuchs nach wenigen Tagen eine noch größere Leidenschaft für Geschwindigkeit. Die Stadt ist nicht für kleine Kinder gemacht. Einem schnell dahinrollenden Kind droht an jeder Ecke Gefahr. Manchmal entwischt uns unser Kind, überhört jedes Rufen, wie es jedes sich von links oder rechts rasch nähernde Auto übersieht und so steuert es auf seine heitere Art, Worte rufend, singend geradewegs ins Unglück – kleine Augenblicke unseres Entsetzens folgen, eine rasend schnell phantasierende Angst explodiert in uns und jagt uns unserem Kind hinterher. Diese Angst, die uns vordergründig ins richtige Handeln treibt, schmilzt im unwissenden Blick unseres Babys, das wir an seiner Kapuze festhalten, zu einem listigen Vorspiel dessen, was uns alles noch bevorstehen wird.)

I remember fearful days before the baby came to us. Questions, conjectures, misgivings. As though his arrival could rob me of my life. As though someone were coming who, by the mere act of entering the world (my world), brought with him a capacity to suck my entire life into his life. To dissolve my freedom into his will. A little demon whose coming was inescapably imminent, a Messiah whose effect would be to render me ineffective. Fate, I feared, might burst in upon me. And it was my own (partial) doing that had set it in motion. Which made it all the worse. Fate, I imagined, would flatten the stirring, darting, expansive motions of my life and then bury beneath its sheer weight whatever remained of this flattened life, like an avalanche. In those days I was actually feeling everything that would happen in the future as a physical menace advancing in my direction. My space in this world was endangered. Something that was not yet born was already reaching for it, was beginning to fill it out, and in my thoughts I was starting to evade its advance by retreating to the edges of my space, which in turn made me fear falling out of my space altogether. Anxiety is powerful, indeed its power is nothing less than admirable. It begins like the faintest stirring of air after the windless calm of a hot afternoon. A pleasant, cooling motion. A vague anxiety, a slight trembling. For days it hovers in this quiet agitation, not really threatening yet, before it begins to build up. I could have held it back; suppression is not beyond my capacity. But I didn’t want to push it aside or bind it, I thought of our child, who deserved and needed something else. His father ought to show some courage. So I allowed the fear, this playful little bit of anxiety, to swell and bloat as far as it would. Fear of one’s own child! One’s unborn child. Fear of the invisibly visible being that was growing inside your belly. You in your serene pregnancy could not help me. Or understand me. You wanted to remind me of my happy expectations, but I didn’t want to be reminded. That memory would stun me, would rob me a little of my fear, this tremendous energy: I did not want it to have grown for no purpose. I wanted to fall into the maw of fear, leap of my own free will, instead of being pushed, into this bottomless abyss which, strangely, does not open up to its complete size (the size fitting the one who has it) until  it no longer holds back anything and is no longer held back by anyone. Only when it is complete (perfect, all-powerful), is it perfectly open. So I was feeling quite prepared for the transformation I would undergo (thanks to the approaching baby), a transformation that would also be a departure from fear’s bad image. Paul Valéry writes in his Cahiers: Fear tends to close the circle, to return to the beginning of what the free play of thought, unhindered, seeks to transform without limit. Therefore fear is a hindrance to transformation. . . . Fear is a degeneration of attention. That is a well conceived thought, but the thought is valid only with respect to the fear that has been fended off. Fear overpowered by belief in the freedom of thought. I was well acquainted with the automatism of the defense against anxiety. Our baby was putting it to a test that was more intense than all previous tests. A test which, if I managed to pass it to some degree, would have shorn anxiety of its blackness. So I engaged with fear (though it is hard to say when that was, for fear is an eel, among other things). The fear instilled in me by the approaching child. It was, in a sense, BabyBuddha’s palpable beginning, the first practice given to me – still from the beyond, it seemed – by the little Master. The baby, no more than a draught of air, calling out to me (with a voice that was louder than this side of reality could ever achieve): Be afraid! Be afraid of me! And I complied. Obeyed and followed the instruction. To the point where the fear that the baby, my baby, might conquer and rule my life for ten years like a stern occupying force turned into its opposite. I went so far as to want my baby to rob me of my life. May he do that! Yes! I was able to observe this theft with the greatest attention. I could play along, be my own thief. And with a Lo and behold! (the commonplace of all transformation) the fear vanished, fizzled into nothing, dissolved in a single moment, as if it had never been there. Now our child could be born. (Naturally I was not so audacious as to believe that the fear had vanished once and for all. It would re-arise at some point, unexpectedly, unsuspected, exactly as mysteriously as every new life comes into being. Nor does this mean that I would look forward to the next onslaught of fear; but I do anticipate it with a certain reverence, admiring already its advancing power as if I were already utterly familiar with its mysterious kind of solicitude. – Our child has developed a passion for his strider bike, and within a few days this has grown into an even greater passion for speed. The city is not made for little children. At every corner, danger threatens a small child swiftly rolling along its way. Sometimes our child eludes us, fails to hear our calls, just as he fails to see every car that quickly approaches him from the right or the left, and so, cheerfully calling out words and singing, he steers straightaway into disaster – followed by little moments of terror on our part, bursts of violently racing imagination exploding within us and chasing us in pursuit of our child. This fear, which on the surface appears to be driving us toward right action, melts in our baby’s unknowing gaze, as we seize him by the hood of his jacket, into a sly prelude of all that may still lie ahead of us.)

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