Das zweite & dritte Jahr 42

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Das eine ist die Angst, das andere die Lust. (Wirklich? Zu unlustig bin ich gerade, Ähnlichkeiten und Verwandschaften zwischen Angst und Lust zu verfolgen – nur die eine jedenfalls lässt sich sofort nicht übersehen: beide strotzen nur so vor Energie, die tätig werden will. Heimlicher die Angst, unheimlicher die Lust. – Und außerdem: so manche Spur soll erstmal ruhn.) Nichts Geschriebenes fordert mehr auf zu Zeugung, nichts Geschriebenes rät lustvoller, lustversessener, lustbesessener zu einem Nachkommen als Shakespeares Sonette. Unlooked on diest unless thou get a son // Vergessen stirbst du, hast du keinen Sohn. (Gewissenlos geschlechtsparteiisch nehme ich diese Festlegung auf einen männlichen Nachkommen freudvoll, lustvoll an. Einen Sohn sollst du zeugen! So steht es bei Shakespeare, also muss es wahr und richtig sein!) Es ist eine Lust, zu zeugen, nicht nur in dem praktischen, handfesten, fleischlichen Sinn, es ist eine Überlust, die Lebenslust, die sich selbst um ihr Fortleben bemüht, die sich in unseren Nachfahren inkarnieren möchte. Unsere Nachkommen, das sind wir, die wir unsere durchaus heilige Pflicht erfüllen, uns selbst nicht verblühen zu lassen, auch wenn jedem von uns der Herbst droht. But as the riper shoult by time decease / His tender heir might bear his memory // Muß auch die Zeit den reifen Mann verheeren, In seinem zarten Sprößling lebt er fort. Die Schönheit scheint durch uns hindurchzublühen, wir sind Etappen des Weges der Schönheit, eines Weges, der womöglich (wahrscheinlich) nirgendwo hin führt. Wir sind schön! Dabei wollen wir kurz verweilen. Wir sind schön! Das sollten wir nie außer acht lassen. Uns richtig und gemäß an unsere Schönheit erinnern. Und an die Hege und Pflege unserer Schönheit, die mehr von uns will, als uns allein zu gehören. Kinderlosigkeit ist Frevel, Frevel der Schönheit gegenüber, Frevel gegenüber dem Leben selbst. Und: Then what could death do if thou shouldst depart / Leaving thee living in posterity? // Die Macht des Todes ist nur halb so groß, / Kannst du in deinem Nachwuchs fortbestehn. Also macht die Zeugung auch aus dem gefürchteten Tod eine nur kleine Nervensäge, denn nichts vermag der Tod anzurichten, wenn die Kette der Nachkommen nicht unterbrochen wird. Aber man sollte sich seiner selbst nicht zu sicher sein. Der lebendigste Blick gebührt dem Baby, dem kleinen Jungen, so wie sein Blick an seinem Lebensmittag dem Blick seines Nachkommen gebühren soll. To give away your self, keeps your self still, / And you must live drawn by your own sweet skill. // Ja, gib dich hin, dann wird`s dich ewig geben. / Dein süßer Stift verlängert dir das Leben. Also: Gib her dein Selbst, so wirst du es behalten! Und lebst so durch dein eignes, wonniges Gestalten! Werf ich mich weg, find ich mich wieder. Eine schöne Form zu leben, die du mir da rätst und der ich nachgekommen bin. Du? Du Shakespeare! Aber diese fortwährende Mahnen und Raten der Sonette zu Fruchtbarkeit und ichverlorenem Lebenswillen, könnte das nicht dein Mahnen und Raten sein, das Mahnen und Raten meiner Frau, dem ich doch längst (auch ich und du und unser Kind), als gerade die vierzig Winter unsere Stirn belagerten, sofort und umgehend nachgekommen bin, erfolgreich und nun also ich mich als erhoben und erlöst von Shakespeares herrlich drängender Kunst betrachten kann (als erhoben und erlöst auch dich)? Ganz anders, ganz ganz anders die Jungfrauenzeugung, die um diese Weihnachtszeit sich wieder (wie jedes Jahr) Gehör verschafft (zuletzt in einer trotz kaltem Kirchenraum warmen Messe der Jesuitenkirche, angewärmt von der unüberhörbaren Stimme des Paters, einer paternalen Stimme, aus der der Widerstand gegen das Schwinden des Glaubens doch auch herauszuhören war): … fürchte dich nicht Maria als deine Frau zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das hat sie vom heiligen Geist empfangen. Und aus dieser geistigen Zeugung wurde Handfestes, Fleisch, Baby. Kein aufgeklärter Geist möchte das glauben, kann es glauben. Jungfrauenzeugung ist für jeden Verstand das Undenkbarste, nur aus Sentimentalität und Kinderliebe toleriert er es, wem oder was könnte dieser Glaube schon noch Schaden anrichten? Doch eigenartig, obwohl wir wissen um die Körperlichkeit unserer Zeugung, berührt uns dieser Glaube an die zeugende Kraft des Geistes, an seine Fähigkeit, die Barriere zwischen Geist und Fleisch zu überwinden, aufs leichteste Tiefste. Wieso sind wir uns so sicher, fragen wir uns, dass nur wir es waren, die zeugten (was gerade das Auspusten von Kerzen lernt, die Sammlung des Atems zum löschenden Strahl; und jetzt pusten, mein Sohn!)? Ja, wir allein, denken wir jetzt, waren es nicht, sind wir in der Zeugung nicht ebenso Geist wie wir Fleisch sind? Sind wir vielleicht nur Geist und nur gedachtes Fleisch? Die Lust des Geistes, eine Lust zu phantasieren auch vom Fleisch? Wieder Shakespeare, die Lust des Geistes ist unüberhörbar (wie bei unserem Pater): But were some child of yours alive that time / You should live twice in it, and in my rhyme. // Doch zweifach, wäre dir ein Kind gegeben, In ihm und meinen Versen wirst du leben. Zweifach einfach sind wir, haben wir gezeugt.

Fear is one thing, pleasure another. (Really? I feel no pleasure at all in the prospect of tracking down the similarities and interrelations of fear and pleasure – though one similarity is so blatantly obvious it is impossible to overlook: both are brimful of energy eager to move into action. Fear proceeds a little more secretively; pleasure, a little more uncannily. – And for the rest: not every trail is worth following.) No written words call for procreation or offer a lustier or more lust-obsessed, lust-possessed incitement to produce progeny than Shakespeare’s sonnets. Unlooked on diest unless thou get a son. I accept this fixation on a male descendant with unconscionable, indeed joyous, happy gender preference. Thou shalt beget a son! It says so in Shakespeare, so it must be true and right!) Procreation is a delight, not only in the practical, tangible, carnal sense, it is a supreme delight, this lust for life endeavoring to perpetuate itself by incarnating in our progeny. Our descendants are ourselves, who are fulfilling our absolutely sacred duty to not allow ourselves to wither, even though Autumn threatens every one of us. But as the riper should by time decease / His tender heir might bear his memory. Beauty seems to flower through us, we are stages on the path of beauty, a path that possibly (probably) leads nowhere. We are beautiful. Let us briefly dwell on that. We are beautiful! This we should never disregard. To truly and appropriately remember our beauty. And to nurture and take care of our beauty, which wants more of us than that it should belong to us alone. Childlessness is blasphemy, blasphemy toward beauty, blasphemy toward life itself. And: Then what could death do if thou shouldst depart / Leaving thee living in posterity. So procreation makes of dreaded death a minor nuisance, for death has no power if the chain of posterity remains unbroken. But one should not be too sure of oneself. Our most spirited gaze is due to the baby, the little boy, just as in the noonday of his life, his gaze will be due to his progeny. To give away your self, keeps your self still, / And you must live drawn by your own sweet skill. That means: give up your self, and you will have yourself, thus living through your own creative bliss. Having thrown myself away, I find myself again. A beautiful way of living, which you recommend to me and which I have adopted. You? You Shakespeare! But the sonnets’ perpetual prodding and urging its reader to be fruitful in the self-abandoned will to life, could that not be your prodding, your urging, my wife’s prodding and urging, which I long since immediately and promptly and successfully heeded (I too and you and our child) when forty winters were just starting to lay siege to our brow, so that I now can regard myself as having been elevated and redeemed by Shakespeare’s gloriously urgent art (and you too as having been elevated and redeemed)? Quite differently, utterly differently from parthenogenesis, which finds its voice again (as it does every year) this Christmas (most recently at a Mass in the Jesuitenkirche, which was warm despite the frigid air inside the church, warmed by the priest’s unmistakable voice, a fatherly voice in which resistance to the diminution of faith was nonetheless discernible): do not be afraid to take Mary home as your wife, because what is conceived in her is from the Holy Spirit. And from this spiritual procreation there came something tangible, flesh, a baby. No enlightened mind wants to believe this, or can believe it. Parthenogenesis is the most inconceivable notion to the understanding; indeed the mind can only tolerate it out of sentimentality and the love of children, and after all, who or what is hurt by this belief? But strangely, even though we are informed as to the physicality of procreation, this belief in the procreative power of the spirit, its ability to overcome the barrier between spirit and flesh, touches us in a most profound and effortless way. Why are we so sure, we ask ourselves, that it was only we who begat (which is something the snuffing of candles teaches, the gathering of the breath for the extinguishing blast: and now blow, my son!)? Yes, we think now, it was not we alone; are we not, in the act of procreation, as much spirit as we are flesh? Are we perhaps only spirit, and the flesh is an imaginary addition? The delights of the spirit, the delight of conceiving, which is also a conceiving of and in the flesh. Shakespeare again, the delight of the spirit is unmistakable (as it was with our priest): But were some child of yours alive that time / You should live twice in it, and in my rhyme. We are doubly single, and so was our begetting too.

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