Das erste Jahr Babybuddha jetzt auf:
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Weihnachtsfest: Lobfest der Kindheit! Ehrung der Kleinsten! Anbetung ihrer Würde und Unschuld! Ehrfurcht vor ihrer Verletzlichkeit! Glücksbringer, Schicksalsüberwinder! Das Gute entsteht immer wieder aufs Neue. (Niemals wurde ein böses Kind geboren!) Der Anfang ist nur gut, nichts als gut. Der Anfang ist klein und von fester Zartheit. Lebendig, ohne Spuren des Todes in sich zu tragen. Wir feiern die Wiederkehr, die selbst etwas Unwandelbares ist, einzig ewig und ohne Sehnsucht nach mehr. Die Wiederkehr ist wie ein Gesetz, dem wir unterstehen, unwandelbar, wundersam. Wir können uns nicht um sie bemühen, sie geschieht von selbst. Ochs und Esel sehen zu, bezeugen sie. Die Krippe mit dem Neugeborenen im Stroh: das Stroh ist so angenehm leicht, wärmend, so als Haufen ein himmlisches Gekritzel (Cy Twomblys Kunst ist, umso kunstloser sie daherkommt, Schöpfungsnähe. Kritzeleien, die ein wenig süchtig machen. Manchmal sehr, dann greifen die Augen ins Bild und verschwinden darin. Das Baby, das kein Baby mehr ist, auf dem Arm, gehen wir von Bild zu Bild. Und jetzt sehen wir das noch an, sagt das Kind, und jetzt das – immer, wenn wir gerade mit dem Verweilen angefangen haben, rücken wir zum nächsten Bild vor. Später im Museumscafé nehmen wir einen Espresso, einen Kindercappuccino und ein Cookie. Ich preise das Sein mit dem Kind. Nur vom einzig besetzten Nebentisch dringt Störendes in meine wohlige, heimlich-zurückhaltende Euphorie. Vier Senioren, zwei Paare tauschen sich aus über Häuser und Infrastruktur, Geld und Abrechnung. Dann wechseln sie zu Maria und Joseph und dem Jesuskindchen, ein paar launige Bemerkungen, gemeinsames überlegenes Lachen, das sie in der Vermessenheit wiegt, sie hätten ihre Herkunft überwunden, seien heute in ihrem Leben, im Leben überhaupt Damen und Herren des Geschehens. Dann bringt mein Sohn seinen leeren Teller zurück zur Theke, während er noch an einem großen Stück Cookie kaut: seine dicke Backe lässt eine der beiden Frauen sich heiter über seinen Appetit äußern. Aber es ist gar keine Heiterkeit in ihr und ihren Worten, nur wieder die selbe Überheblichkeit und der Glaube an sie selbst. Mein Sohn bemerkt diese Frau nicht, aber nicht, weil er nicht aufmerksam ist. Sein Nichtbemerken scheint mir eine ganz besondere Fähigkeit zu sein, die ich nur staunend meinerseits bemerken kann. Kritzeleien all das, denke ich, das Café, die Frau, meine Gedanken. Weder schön, noch unschön – wie ein Twombly. Wie hat die Schönheit es nur geschafft, der Kunst zu entkommen!) Lob der Kindheit, Ruhe der Kindheit! Ruhe der Kindheit! himmlische Ruhe! wie oft steh ich stille vor dir in liebender Betrachtung, und möchte dich denken! Aber wir haben ja nur Begriffe von dem, was einmal schlecht gewesen und wieder gut gemacht ist; von Kindheit, Unschuld haben wir keine Begriffe … Ja! ein göttlich Wesen ist das Kind, solang es nicht in die Chamäleonsfarbe der Menschen getaucht ist. Es ist ganz, was es ist, und darum ist es so schön. Der Zwang des Gesetzes und des Schicksals betastet es nicht; im Kind ist Freiheit allein. In ihm ist Frieden; es ist noch mit sich selber nicht zerfallen. Reichtum ist in ihm; es kennt sein Herz, die Dürftigkeit des Lebens nicht. Es ist unsterblich, denn es weiß vom Tode nichts. So feiert Friedrich Hölderlin seine eigene Weihnacht in Hyperion (oh, ja, es ist eine Weihnacht, wir spüren es sofort; noch bevor wir es denken, wir beim Lesen gleich von Hölderlin Infizierten). Wir müssen also auf dem Weihnachtsfest beharren, wir wollen es nie aufgeben oder im Strom der Alltäglichkeit untergehen lassen. Wir können es nicht jeden Tag und unaufhörlich feiern, aber wir können durchaus so tun als ob. Mit unserem Sohn sind wir herausgewachsen aus dem Baby und hinein in die Kindheit. Noch trägt er viele Spuren des Babyseins in sich (auch wenn er sagt: ich bin kein Baby mehr, ich bin ein kleiner Junge), noch ist seine Vollkommenheit nicht schmaler geworden (auch wenn sie Dellen bekommen hat), noch ist sein Mut und Ja zum Leben nicht gesunken, nicht leiser geworden (auch wenn eine Stille manchmal in ihn einkehrt, als würde er sich besinnen und die Tragweite des Lebens zu ermessen versuchen). (Für unser Kind war es im Grunde das erste Weihnachtsfest, im Umkreis des dritten Jahres seines Lebens sieht es sich selbst in der Krippe liegen, es lässt sich im kleinen Jesuslein selbst feiern, plötzlich weiß es in den Mittelpunkt zu rücken, will es dorthin, möchte sich selbst zum Zentrum machen – auch das eine Delle seiner Vollkommenheit, war es doch als Baby das zentrumslose Zentrum, das uns, da wir das niemals begreifen konnten, zum Schweigen und Staunen brachte. Tatsächlich haben wir uns, ohne es zu bemerken, von unserem Baby verabschiedet, der stillste denkbare Abschied war das, ein Abschied auf immer, den wir erst anfingen zu spüren als er längst vollzogen war. So war es am schmerzlosesten, unser schlaues Baby, unser rücksichtsvoller Meister hat uns keine Ablenkung durch Kummer besorgt, es, er ließ uns fröhlich weiter Babyelternsein, als es längst schon hinter dem Horizont seiner ersten Tage und Wochen untergegangen war. Ja, unser Baby ist zum Kind erwacht, sein erstes großes Erwachen, wir hoffen, es war ein Erwachen zum richtigen Zeitpunkt. Denn auch so heißt es bei Hölderlin: Aber schön ist auch die Zeit des Erwachens, wenn man nur zur Unzeit uns nicht weckt.)
Christmas: festival in praise of children! Honor to the smallest! Adoration of their dignity and innocence! Awe before their vulnerability! Bringers of happiness, overcomers of fate! The Good comes into being again and again. (Never has an evil child been born!) The beginning is only good, nothing but good. The beginning is small and of a sturdy delicacy. Alive, without bearing any traces of death within itself. We are celebrating the return, which is itself an unchangeable thing, singular and eternal and without any longing for more. The return is like a law to which we are subject, immutable, wondrous. We cannot seek it out, it happens of itself. The ox and the donkey observe the return, they are its witness. The manger with the newborn child in the straw: the straw is so pleasantly light, warming, scattered in a heap like celestial scribbling (Cy Twombly’s art: the more artlessly it disports itself, the closer it is to the source of Creation. Scribblings that can become a little addictive. Sometimes a lot: then the eyes reach into the painting and disappear in it. With our baby, who is no longer a baby, on our arm, we go from painting to painting. And now let’s look at that, the child says, and now that – always when we have just begun to linger we move on to the next picture. Later in the museum café we take an espresso, a children’s cappuccino and a cookie. I praise existence with the child. But from the only occupied table near us, something disruptive enters my cozy, furtively low-key euphoria. Four seniors, two couples, are exchanging views about houses and infrastructure, money and settling accounts. Then they switch to Mary and Joseph and the baby Jesus, a few jokey remarks, followed by superior laughter that cradles them in the presumption that they have risen above their origins, that today in their life, in life altogether, they are ladies and gentlemen of what is happening. Then my son brings his empty dish back to the counter while he is still chewing a large piece of cookie; his full cheek makes one of the two women cheerfully comment on his appetite. But there is no cheerfulness either in her or her words, just once again the same arrogant self-conceit. My son does not notice this woman at all, but not because he is not attentive. His not noticing strikes me as a very special ability which I, for my part, can only notice with astonishment. Scribblings, all of this, I think, the café, the woman, my thoughts. Neither lovely nor unlovely – like a Twombly. How did beauty manage to escape art!) Praise of childhood, peace of childhood. Peace of childhood! heavenly peace! How often do I pause before you in loving contemplation, and try to conceive of you! But our concepts are only of what has degenerated and has been repaired; of childhood, of innocence we have no concept . . . Yes! divine is the being of the child, so long as it has not been dipped in the chameleon colors of men. The child is wholly what it is, and that is why it is so beautiful. The compulsion of law and of fate touch it not; only in the child is freedom;. In the child is peace; it has not yet come to odds within itself. Wealth is within it; it knows not its heart nor the inadequacy of life. It is immortal, for it knows nothing of death. Thus Friedrich Hölderlin celebrates his own Christmas in Hyperion (oh yes, it is a Christmas, we sense this right away, before we think it, we who in reading are immediately infected by Hölderlin). So we must insist on Christmas, we will not give it up or allow it to drown in the river of commonplace happenings. We cannot celebrate it every day without cease, but we can certainly act as if we could. Together with our son we have grown out of the baby and into childhood. He still carries many traces of babyhood in himself (even when he says, I’m no longer a baby, I’m a little boy), his perfection has still not yet become narrow (though it has been dented a bit), his courage, his Yes to life have not diminished or become muted (even though stillness sometimes settles into him, as though he were trying to take stock of the import of life). (For our child it was basically the first Christmas, in the compass of the third year of his life he sees himself lying in the manger, lets himself be celebrated in the little baby Jesus, suddenly knows how to move into the center, wants to be there, make himself the center – this, too, is a dent in his perfection; for when he was a baby, he was the centerless center that reduced us, who could never comprehend this, to silence and astonishment. Indeed, unbeknownst to ourselves, we have taken leave of our baby, and it was the quietest leave-taking imaginable, a farewell for ever, which we only began to feel long after it had transpired. That was the least painful way he could do it, our clever baby, our considerate master did not supply us with the distraction of sorrow but allowed us to continue being cheerful baby parents long after he had descended behind the horizon of his first days and weeks. Yes, our baby has awakened into childhood, his first great awakening, we hope it was an awakening at the right moment. For this too is something Hölderlin said: But the time of awakening is beautiful too, if only we are not awakened at an untimely hour.)