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Das erste Jahr Babybuddha jetzt auf:
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Wir sind ganz ungeniert (im Urlaub erstrecht), nehmen als Bestätigung, alles, was kommt, was scheint: die Sonne zum Beispiel. (Bestätigung wofür? mag jemand fragen, der keine Ahnung hat, uns nicht kennt. Uns Menschen. Uns drei. Unser Baby, dich, mich.) Bestätigung: für alles, was wir tun, denken, fühlen. Wir wenden und drehen nicht, was wir tun, denken, fühlen. Wir sind im Urlaub. Was sollen wir schon denken über die fremde Hand, die unserem Baby über sein blondes Haupt streicht? Fast täglich geschieht es, Wildfremde (die sofort nicht länger wild, – was sie eh nie waren -, noch fremd sind) können ihr Entzücken, ihre Freude, ihr unschuldiges Verlangen nicht zügeln, wollen sich nicht zurückhalten, kennen keine Scheu, keine Schüchternheit: sie heben die Hand und streicheln das Haar unseres Kindes, manchmal bloß im Vorübergehen (jetzt gerade, als ich unser Baby von den Toiletten des Seebades zurück zu den Liegen trage), oder sie bleiben vor dem kleinen Mann stehen, frohlocken, schütteln den Kopf, wie eben vom Unglauben Abgefallene, fallen in den lauten, weichen Singsang ihrer Sprache und legen die Hand auf das kleine Haupt (der größte Körperteil unseres Babys; bisweilen kommt es uns ein bißchen wie freundlicher Spott auf uns selbst vor, dass ausgerechnet die kleinsten Menschen im Verhältnis zur Größe ihres Körpers solch riesige Köpfe herumtragen) und sie streichen über das dünne, weiche Haar, das heller als die Sonne selbst ist (auch die Anderen also sind ungeniert in unserem Urlaub, nehmen, was kommt, das Haar unseres Kindes, denn seine Berührung ist Verheißung und Vollendung, oder kleiner: Sehnsucht und Lust in einem). Oder etwas (ganz?) anderes: ein Gemälde von Bernardino Luini, eine Madonna, die ihr (ziemlich großes) Kind stillt. Ihr Gewand ist geöffnet wie ein Vorhang, durch den nur die rechte Brust lugt. Das trinkende Kind sitzt mit übergeschlagenen Beinen auf den Oberschenkeln seiner Mutter und betrachtet mit durchdringender Teilnahmslosigkeit den Betrachter des Bildes aus den Augenwinkeln, als gehörte das zusammen: Trinken und Betrachten (Trinken und Betrachten des Betrachters, während es selbst beim Trinken und Betrachten betrachtet wird. Auch unser Baby ist so ein stiller Betrachter, wenn es gestillt wird. Sein Blick stillt gewissermaßen uns, die Betrachter; im Sehen gesehen zu werden, ist uns als Wunsch wie Erfahrung nicht unbekannt, aber die gleichzeitige Mundberührung der Brust dabei macht Wunsch und Erfahrung weniger inniglich, weniger spröde, entfernt die Sehnsucht aus der Verbindung des einen und des anderen Betrachters). Daneben (aber nur im Katalog) ein zweites Bild von Bernardino Luini, Trauer um Christus. Der vom Kreuz genommene Christus (jetzt der Entkreuzigte) auf dem Schoß einer Frau, zaghaft gestützt von zwei, drei anderen, ein weniger tot als entkräftet wirkender Jesus, ein ratloser Jesus, der die säugende Brust nicht finden kann, weil er nicht mehr suchen kann, nichts weiß von richtiger Suche. Seine Augen sind geschlossen wie die Brüste der Frau, die ihn hält, tief unter ihrem Gewand verborgen sind. Ein schwaches, viel zu groß geratenes Baby ist dieser Jesus und zugleich – das macht ihn interessant – ein erwachsener Mann, auf dem Schoß einer Frau sitzend, wie nie ein erwachsener Mann auf dem Schoß einer Frau sitzt. Männer sitzen nicht auf dem Schoß einer Frau, daran hat sich seit Jahrtausenden nichts geändert, das Schoßsitzen ist den Frauen selbst vorbehalten oder den Kindern und Babys. Ein stiller Revolutionär ist dieser Jesus wie er in dieser betrüblichen Situation so dasitzt, tot und doch liegt sein rechter Arm lässig auf der Schulter dieser Frau, die ihrerseits ihre rechte Hand auf seinen Oberschenkel gelegt hat. Die stillende Madonna des einen Bildes so neben der Frau des anderen Bildes mit dem gestorbenen Gottessohn (oder einfach nur: mit einem toten Mann) auf dem Schoß zu betrachten, ist wie durch nur zwei Bilder der Summe des Lebens teilhaftig zu werden. Die Rückkehr in den Schoß, wo alles Sein und Tun seinen Ausgang genommen hat, verblüfft (umso mehr vor dem Wellenschlag und Glucksen des Sees, vor seinem unsichtbar sichtbaren Tiefgang, seiner dunkelblauen Schwärze, auf der morgens das silberne Glitzern und abends das goldene Schimmern tanzt, das wir, wie alles, was kommt, als Bestätigung nehmen. Wofür? Für all die Zusammenhänge, die wir niemals erkennen können). Vom gestillten Baby zum revolutionären, weil schoßsitzenden Jesus: eine immer gleichbleibend junge Konstellation. (Mit unserem Baby im See. Von deinem Schoß rutscht es herunter und geht los. Sogar auf dem Gras meinen wir zu hören, dass sein Laufen patschend klingt. Wir beide stehen bis zur Hüfte nah beinander im Wasser, unser Baby schwimmt schwimmflügelgetragen zwischen uns hin und her. Selbst in Ufernähe ist die Wucht der Wassermassen spürbar, die uns nur zu gerne von den Füßen holen möchte. Das Wasser ist ein verführerischer Abgrund, der über seine Tiefe täuscht. Das macht ihn noch attraktiver. Aber heute müssen wir auf unser Kind aufpassen, also bleiben wir stehen, korrigieren nur kurz unseren Stand, wenn die kleine Fähre Wellen herüberrollen lässt. Ausreichend fest also stehen wir und so kommen die kleinen Fische in Schwärmen, umflattern unsere Beine und mit ihren kleinen Saugmündern, versuchen sie sich an uns, was als ein kleines, entzückendes Zupfen auf unserer gebräunten Haut spürbar ist. Nur auf unserer Haut, unser Baby interessiert sie nicht, es ist selbst zu flatterhaft und für einen Augenblick glauben wir, es könnte sie diesen kleinen Fischen anschließen, hinabtauchen und zum Erwachsenwerden in den Tiefen des Sees verschwinden.)